Kampf um Sinn

Mensch und Natur: Brigitte Kronauers Geschichtensammlung „Die Tricks der Diva“

Was uns die Natur sagen will? Nichts. Nicht mit ihren Verheerungen, wie bei der Tsunami-Katastrophe – da versagte jede, selbst die strafende Deutung. Die Natur spricht aber auch nicht durch ihre Schönheiten zu uns – auch die sind zufällig, sinnlos, keinesfalls geschaffen zu des Menschen Wohlgefallen.

Gegen herkömmliche „Wald- und Wiesenekstasen“ verwehrt sich Brigitte Kronauer deshalb im Nachwort ihres Reclam-Bändchens „Die Tricks der Diva“, das 15 Geschichten zur Natur versammelt. Der klischierten Erklärung, Verklärung von Natur gilt ihr ganzer Spott. In „Liedchen“ etwa singt die viel besungene Anemone ein ironisches Loblied auf sich selbst, indem sie dem mythologischen Popanz um ihre Gestalt ihr doch flüchtig schnelles Entblättern und Verwehen entgegenhält.

Die Natur will weder verheißen noch Unheil unken – erscheint es uns doch so, dann ist es menschliche Projektion. So heißt es nach der bezaubernden Schilderung eines Seerosenblätterwinkens- und -blinkens, als seien’s lauter Signale: „Es hatte aber nichts zu bedeuten, das war ja klar.“ In derselben Geschichte und Idylle, „Stille mit finsterer Figur“, sucht ein schwarz gekleideter Fremder entweder einen Schauplatz für etwas Erfundenes oder einen Tatort für etwas Geschehenes – seine entfernt gemurmelten Worte könnten beides bedeuten. Der Mensch ist nämlich so undurchschaubar wie die Natur.

Und ist er nicht auch Natur, der Mensch? O ja. Der Mensch, so der in die Gegenwart und in Hagenbecks Tierpark versetzte Jean Paul in „Die Tiere“, sei wie diese unerbittlich eingekerkert in seine Merkmale. Im Zoo gibt es altkluge Kinder zu bestaunen, besserwisserische Großväter, ungefragt fachsimpelnde Großmütter. Viele solcher Menschengruppen führt Kronauer in diesem Band vor, oft als Wir-Sprecher oder Sie-Angesprochene. In oft parodistischer Absicht zeigt sie das Typische an ihnen, ihre „Natur“. Das eigentlich Interessante aber ist ihr Ausbruch in eine „eigene Art von Göttlichkeit“: Jean Paul im Zoo bemerkt das einzig bei einem Warzenschwein, das unvermittelt vom Schnüffeln aufgeblickt und „in die schräg stehende, alles in eine leidenschaftliche Beleuchtung tauchende Sonne gespäht habe“.

Mehrfach werden bei Kronauer „natürliche“ menschliche Ordnungen in Frage und auf den Kopf gestellt. Die Pole „wir“ und „sie“ – oder „Sie“ – erfahren dabei in raffinierten Erzählvolten oft unvermutete Umkehrungen, in die der Leser als Angesprochener mit hineingezogen wird. Ambivalent wie die menschliche Natur ist auch die Natur außerhalb des Menschen dem Menschen. Sie ist bedrohlich oder tröstlich, Rettung oder Untergang auch im Mentalen, da ein so einzigartiger Projektionsträger. Deshalb gibt es sie noch immer, die entgrenzende, ekstatische Naturerfahrung. Diese allerdings ist nie harmlos, sondern immer so, dass sie den Menschen übersteigt. MAJA RETTIG

Brigitte Kronauer: „Die Tricks der Diva“. Reclam, Stuttgart 2004, 112 S., 3 Euro