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Archiv-Artikel

Die Nacht singt ihre Lieder

JUBILAR 20 Jahre ist Thomas Koch als Techno-DJ tätig. Zudem gründete er ein Label, einen Club und eines der führenden deutschen Magazine für Tanzmusik. Zum 40. darf’s sogar ein Soloalbum sein

„The Inner Jukebox“ klingt amtlich, ist aber auch Hommage an Techno aus den 90ern

VON THOMAS WINKLER

Auf einem schweren Eichentisch liegt das Mahnmal seines erfolgreichen Berufslebens. Im dunklen Schuber schlummern „Tinnitus und Gehörschäden“, CD und Begleitbuch, und warten darauf, die Selbstheilungskräfte von Thomas Koch aktivieren zu dürfen. Seit kurzem plagt ihn ein Schaden im rechten Innenohr. Heute trägt er bereits am frühen Nachmittag seine maßangefertigten Ohrstöpsel. Etwas, was er hinter dem DJ-Pult lange Zeit nicht getan hat. „Jetzt wünschte ich mir, ich hätte“, lächelt er, „aber 23 Jahre lang hatte ich nie das kleinste Problem.“

23 Jahre, in denen Thomas Koch nicht nur als DJ T. immer gut im Geschäft war, sondern auch eines der renommiertesten deutschen Labels betrieb, einen der beliebtesten Clubs eröffnete, ein wichtigstes Magazin für elektronische Musik gründete und ganz nebenbei zum Vordenker der deutschen Techno-Szene avancierte. Am 30. Juni ist der Tanzboden-Impresario nun 40 Jahre alt geworden und feiert das mit einem neuen Album.

Schlendernd und flirrend

„The Inner Jukebox“ fasst Kochs Berufsjahre zusammen. Zwar hat er seine Tracks so programmiert, dass sie „ganz im Hier und Jetzt sind“ und jederzeit mithalten können mit dem aktuellen Stand der Moderne, die immer noch bestimmt wird von den spartanischen Klängen des Minimal. Andererseits aber sieht Koch sein Album als „eine Verbeugung, eine Hommage an House und Techno aus den Neunzigern“. Darunter allerdings hat man sich nicht das berühmt-berüchtigte Berliner Techno-Brett vorzustellen: „The Inner Jukebox“ stampft nicht, sondern schlendert eher fingerschnippend dahin und flirrt immer wieder hitzig. Man kann durch das trockene Klackern der Elektronik hindurch Lateinamerika hören, manchmal auch Afrika. Systematisch ringt Koch den Maschinen einen bisweilen sogar verschwitzten Sex ab.

Das mag daran liegen, dass der gebürtige Düsseldorfer nicht in Berlin musikalisch sozialisiert wurde, sondern in Frankfurt: Dort, wo man mit GIs feierte und der Soul immer etwas wichtiger war als der Rhythmus der Apparate. Dort, wo Koch Mitte der Achtziger begann aufzulegen, wo er 1989 das Magazin Groove begründete und zehn Jahre später den Club Monza. Es war eine Erfolgsgeschichte, die er schrieb, und dann noch eine und noch eine. Aber das dauernde Multi-Tasking forderte seinen Preis: ein Achillessehnenriss, doppelter Bandscheibenvorfall, Sehnenscheidenentzündungen. „Symptom-Verschiebungen“ nennt Koch das: „Ich verliere von Zeit zu Zeit die Balance, weil ich mir nicht genug Inseln zum Ausgleich schaffe.“

Das Magazin und den Club hat er zwar aufgegeben, von Kürzertreten kann aber keine Rede sein. Unter der Woche kümmert er sich um seine drei Labels, von denen Get Physical 2005 vom britischen DJ Mag zum Label des Jahres gewählt wurde und wo immer noch Tracks erscheinen, die die Nächte in den Clubs bestimmen. Am Wochenende ist Koch dann selbst unterwegs: Morgen feiert er Geburtstag und Albumveröffentlichung in der Panoramabar, dann geht es aber auch schon weiter nach Budapest, Helsinki, Paris und Ghent.

Dort legt er mittlerweile auf „für Leute, deren biologischer Vater ich sein könnte“. Ein Umstand, der ihm ausdrücklich egal ist. Nur wundern tut er sich, wenn er kurz überschlägt, dass er nun schon schätzungsweise „sechs oder sieben dieser zwar kurzen, aber heftigen Nachtleben-Generationen überdauert hat“. Aber dann weht durchs Fenster das Geschrei eines weinenden Mädchens, fast wie eine Nachricht aus einer anderen Welt, gesendet vom Spielplatz im Hinterhof, und Koch stellt fest: „Nein, Kinder stehen nicht oben auf der Prioritätenliste.“

Liebe zur Musik

Auf der Liste stehen, immer noch und bis auf weiteres: die Musik und die Nacht. Die Liebe zu Ersterer ist „immer noch die Triebkraft, mit der ich damals angefangen habe“. Und Zweitere hilft Koch dabei, zu ignorieren, dass nicht nur die Schläfen mittlerweile einigermaßen ergraut sind: „Denn nachts, auch wenn das ein blöder Spruch ist, sind doch alle gleich.“

So hält er weiter fest an der Liebe zu einer Kultur, die er mitbestimmt hat wie kaum ein anderer hierzulande. Eine Kultur, die, findet er, so lebendig ist wie lange nicht mehr. Und die schließlich auch etwas erreicht habe. Die drogeninduzierte Revolution, an die auch Koch in den frühen Neunzigerjahren noch fest glaubte, die ist zwar ausgeblieben: „Aber die Gesellschaft hat sich verändert – auch wenn jeder anders und auf seine Weise mit den Erfahrungen umgeht.“

Seine Erfahrungen will er schon seit Jahren verarbeiten. Seit Koch vor fünf Jahren, als der Piranha-Verlag das Magazin übernahm, die Leitung der Groove abgab, vermisst er das Schreiben. Schon seit zehn Jahren plant er „was Belletristisches“, einen Roman, der endlich „die vielen Dinge, die noch ungesagt sind aus diesem riesigen Kosmos Nachtleben“, ein für alle Mal ergründen soll.

Dieses Projekt liegt vorerst weiter auf Eis, weil – natürlich – die Zeit fehlt im hektischen Leben des Thomas Koch. Immerhin hat er es geschafft, für die alten Kollegen von der Groove mal wieder einen Text zu schreiben. 20 Jahre Techno war das Thema. Und er der Experte. Der Museumsdirektor, der Einblick gewährt in sein Fachgebiet. Es war ein seltsames Gefühl, sagt er, aber eins, mit dem er gut umgehen kann. Mit allen anderen Folgen eines Lebens für die Feier werden demnächst die körpereigenen Selbstheilungskräfte betraut.

■ DJ T.: „The Inner Jukebox“ (Get Physical/ RTD). Am 5. 7. verbindet Thomas Koch ab mittags im Garten der Panoramabar Geburtstag und Record-Release zur Sause. Mit dabei: Abe Duque feat. Blake Baxter (live), Thomas Schumacher, Clé & Terrible und DJ T. höchstselbst