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Archiv-Artikel

Für Wähler Schweiß und Tränen

Länger arbeiten, weniger verdienen: Mit massivem Sozialabbau will die CDU die Landtagswahl gewinnen. Doch in der Finanz-, Wirtschafts- und Bildungspolitik fehlt jedes tragfähige Konzept

AUS BOCHUMANDREAS WYPUTTA

Zunächst der Gottesdienst, dann die Totenehrung: Der Landesparteitag der CDU beginnt konservativ-klassisch. Dann wird es peinlich – die Parteitagsregie des Generalsekretärs Hans-Joachim Reck hat nach Amerika geschaut, ersetzt das Gedenken urplötzlich durch Show: „It‘s the final countdown“, dröhnen die Bombastrocker von Europe durch die Bochumer Jahrhunderthalle. Es folgt der Auftritt eines „NRWin“-Teams – Jugendliche, angetan mit dunklen CDU-Schals, versprechen, das Kleidungsstück bis zur Wahl nicht abzulegen, erklären mit auswendig gelernten Statements, warum die CDU die Landtagswahl gewinnen muss.

Mitten in der Menge und doch unsicher: Oppositionsführer Jürgen Rüttgers. Der CDU-Chef scheint zu ahnen, dass sein ungeliebter General Reck Beobachter geradezu auf eine seiner Schwachstellen stößt – noch immer hat Rüttgers kein Schattenkabinett vorgestellt, bleibt das Personal, mit dem Christdemokraten und Liberale nach einem möglichen Wahlsieg am 22. Mai gewinnen wollen, im Dunkeln. Während CDU- und FDP-Landtagsabgeordnete bereits siegesbesoffen von Ministerämtern träumen, kassiert Fraktionschef Rüttgers auf der Suche nach geeigneten Kandidaten Körbe. Der Bremer CDU-Großstadtexperte und Spin Doctor Paul Nolte hat bereits abgesagt, und auch der als Justizminister gehandelte Kohl-Anwalt Stephan Holthoff-Pförtner ziert sich noch (siehe unten). Und dass der Steuerexperte Friedrich Merz nach seinem wütenden Abgang aus der Bundespolitik Finanzminister in NRW werden könnte, glaubt nicht einmal Rüttgers selbst.

Stärker noch müsste sich Rüttgers um sein Programm sorgen. Ob in der Finanz-, Arbeitsmarkt- oder Bildungspolitik versucht die CDU, unzusammenhängende Konzepte großen Wurf zu verkaufen. So nimmt der CDU-Bildungsexperte Bernhard „Berni“ Recker wichtige Ergebnisse der Pisa-Studie kaum zur Kenntnis – die Christdemokraten machen Front gegen die integrative Schule, die von den Grünen gefordert wird. Dabei fördert gemeinsames Lernen bis zur zehnten Klasse wie in Skandinavien nachweislich den Lernerfolg – der CDU scheint das egal.

Karl-Josef Laumann, Vorsitzender der CDU-Sozialausschüsse und als Arbeitsminister einziges designiertes Kabinettsmitglied, verkündet unterdessen das Ende der Arbeitsmarktpolitik. Die könne nur soziale Härten entschärfen. Neue Jobs aber entstünden nur durch längere Arbeitszeiten, weniger Tarifrecht, weniger Kündigungsschutz, glaubt der CDU-Sozialpolitiker. Und wie Merz‘ Steuerreform zur steuerfinanzierten Gesundheitsprämie der Bundesparteichefin Angela Merkel passen soll, ist auch ein Jahr nach Veröffentlichung völlig unklar.

Rüttgers aber stört das nicht. Er setzt auf die Visa-Affäre, der er noch immer die „schlimmsten Menschenrechtsverletzungen seit 1945“ zuschreibt – und entlockt damit selbst Merkel nur noch Kopfschütteln. Erklärbar sei Rüttgers Äußerung nur aus einer extrem westdeutschen Sicht, sagt aus Mecklenburg-Vorpommern stammende Merkel.

Bleibt die von der SPD verschlafene und von den Hartz-Gesetzen des sozialdemokratischen Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement verschärfte Massenarbeitslosigkeit. „Richtig toll“ findet Rüttgers Lohnkürzungen und Arbeitszeitverlängerungen wie bei Opel in Bochum oder Siemens in Bocholt, erklärt Sozialabbau zum „patriotischen Akt“ – und lässt den Parteitag ganz konservativ-klassisch mit der Nationalhymne ausklingen.

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