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Archiv-Artikel

Die Stunde der Patrioten Vol. II

Die CDU feiert die Einigung bei Opel als „Modell für Deutschland“. Freuen könne sich die Arbeiter aber nicht: Wie kurz die Halbwertzeit von „Zukunftsverträgen“ ist, hat das Beispiel Siemens gezeigt.

VON KLAUS JANSENUND ANDREAS WYPUTTA

Jürgen Rüttgers war regelrecht begeistert: „Also, ich finde das toll“, kommentierte der CDU-Landeschef auf dem Landesparteitag in Bochum den Zukunftsvertrag für Opel. Seine Parteivorsitzende Angela Merkel ging sogar noch weiter: „Opel ist Modell für Deutschland“, erklärte sie. Lohneinbußen, flexiblere Arbeitszeit, kombiniert mit niedrigeren Unternehmenssteuern, das sei der Weg aus der Krise für den Industriestandort Deutschland. Denn: „Mit Besitzständen von gestern werden wir die Arbeitsplätze von morgen nicht sichern können“, so Merkel.

Bochums Opelaner teilen die Euphorie nicht. „Ich bin schwer erleichtert“, sagt der Betriebsratsvorsitzende Rainer Einenkel, und präzisiert hinterher: „Das Ergebnis ist schwer, aber ich bin erleichtert.“ Keine Werksschließung, keine Kündigungen, hatte Einenkel stets gefordert. Er hat sein Ziel erreicht. Nullrunden bis ins Jahr 2007 und Kürzungen des übertariflichen Weihnachtsgeldes muss er dafür akzeptieren. Und der Verkaufsschlager Zafira, der künftig in Polen gebaut wird, wird durch ein bereits drei Jahre altes Modell ersetzt: den fünftürigen Astra. Die Produktion wird aus Antwerpen und Ellesmere Port abgezogen. Dafür bleibt Bochum dreischichtig ausgelastet. Bis 2010.

Möglich gemacht wurde der Verzicht auf Kündigungen durch ein Abfindungsprogramm. Rund 1.700 Bochumer Opelaner Auflösungsverträge unterschrieben, weitere 1.300 Verträge müssen in den kommenden beiden Jahren noch dazu kommen. „Ich habe keine Perspektive mehr gesehen. Wer weiß, ob es das Werk 2010 überhaupt noch gibt“, sagt Jürgen Rosenthal. Noch im Oktober hat der drahtige Lagerarbeiter auf einer Holzbühne vor dem Tor des Bochumer Opel-Werk I seine Kollegen zum Streiken ermutigt und ist dafür von der Betriebsleitung abgemahnt worden. Nun ist er um 60.000 Euro Abfindung reicher – und zum Jahresende nach 15 Jahren bei Opel arbeitslos. „Die Kampfbereitschaft war weg. In dieser Atmosphäre wollte ich nicht bleiben“, sagt er. Er ist jetzt 36 und will sich bei anderen Betrieben, als KFZ-Mechaniker, Lagerarbeiter, „alles Mögliche“.

„Die Belegschaft ist gespalten“, sagt Betriebsrat Bernd Wozniczka, ein brummiges Schwergewicht, das sie in Bochum „Bernie die Achse“ nennen. Sein Bereich wird ab dem kommenden Jahr nur noch für Bochum und nicht mehr für die anderen europäischen Werke Achsen fertigen – Wozniczkas Abteilung wird nie mehr wie im Oktober mit einem Streik die Produktion in England oder Belgien lahm legen können.

Ob er sich durch den Zukunftsvertrag sicherer fühlt? „Wir haben höchstens das Minimum erreicht. Den Streik hätten wir uns eigentlich sparen können“, sagt Wozniczka. Er ist sich sicher, dass spätestens 2008, wenn Bochum um ein neues Modell kämpfen muss, neue Kürzungsvorgaben aus Detroit kommen: „Wir sitzen weiter in der Brenne,“ sagt Wozniczka. Und auch Betriebsratschef Einenkel räumt ein: „Wir haben für die Zeit nach 2010 gut Voraussetzungen geschaffen, Garantien kann uns das Management aber nicht geben.“

Die Skepsis der Bochumer Opelaner ist verständlich: Nur knapp hundert Kilometer entfernt in Bocholt und Kamp-Lintfort exerzierte der Großkonzern Siemens im vergangenen Jahr das Vorgehen vor, dass nun Opel droht. Im Juni stimmte die IG Metall der Einführung der 40-Stunden-Woche zu, und verhinderte damit eine Verlagerung der Handy-Produktion nach Ungarn. CDU-Chef Jürgen Rüttgers lobte die Beschäftigten für ihre „patriotische Leistung“, die Arbeitgeber bejubelten einen „Dammbruch“. Nur ein halbes Jahr später drohte Siemens erneut, die Werke zu schließen.