: Die KP Chinas setzt auf Grün statt Rot
Premierminister Wen spricht sich auf dem Volkskongress für eine nachhaltige Entwicklung und gegen blindes Wirtschaftswachstum aus. In der Frage des Antisezessionsgesetzes bemüht sich Peking um Schadensbegrenzung
PEKING taz ■ Marktwirtschaftler sind sie bereits, sonst wären sie vermutlich nicht mehr an der Macht. Nun aber wollen Chinas Kommunisten auch noch Grüne werden, um ihre undemokratische Herrschaft zu sichern. Anders lässt sich die Regierungserklärung, mit der Premierminister Wen Jiabao am Samstag den alljährlich tagenden Nationalen Volkskongress in Peking eröffnete, nicht interpretieren. Durch die zweistündige Rede Wens zieht sich ein trotz aller Kontinuität kommunistischer Propagandaparolen offenkundiger Paradigmenwechsel: von der rigorosen Wachstumspolitik der letzten Jahre zum Primat nachhaltiger Entwicklung.
„Unser Kampfziel ist es, dass die Volksmassen sauberes Wasser trinken und frische Luft atmen können“, formulierte Wen grüne Versprechen, wie sie die Chinesen bislang nie gehört hatten. Gleich mehrmals warnte er vor „blindem Wachstum“. Am weitgehendsten aber war seine Bemerkung, dass das Konzept nachhaltiger Entwicklung „eine Neuentwicklung der Leitgedanken der Kommunistischen Partei Chinas“ sei. Damit wird es zur Parteiideologie erhoben, deren Verletzung im KP-System Repressionen nach sich zieht. Dem Umweltschutz will Wen damit offenbar jene politische Durchschlagskraft verleihen, die er bisher in China kläglich vermissen ließ. Konkrete Maßnahmen wurden auf dem Volkskongress nicht angekündigt. Die Regierung nutzt Chinas Scheinparlament nur zur Absegnung allgemeiner Richtlinien und neuer Gesetze.
Neu auf dem Programm des Kongresses steht zudem das Konzept der „harmonischen Gesellschaft“. Es soll die Klassenkampfdoktrinen von früher ersetzen. Dafür haben sich die Kommunisten neue Werte ausgedacht: „Demokratie und gesetzmäßige Verwaltung, Fairness und Gerechtigkeit, Ehrlichkeit und Freundlichkeit, Stabilität und Ordnung sowie die Harmonie zwischen Mensch und Natur.“ Das soll von nun an die Utopie der KP kennzeichnen. Formulierungen und Wortwahl rücken immer weiter von Marx und Mao ab und nähern sich der alten chinesischen Philosophie.
Doch als wenn er selbst nicht an Gerechtigkeit und Ehrlichkeit im Zuge des Wirtschaftsbooms glauben würde, stellte Wen die Bauernfrage an die oberste Stelle seiner Prioritäten. Die Reduzierung der Landwirtschaftssteuer hatte ihm im vergangenen Jahr Popularität verschafft. Jetzt versprach er ihre Abschaffung in drei statt bisher fünf Jahren. Doch ob das reicht, den Frust der Landbevölkerung mit korrupten Lokalbehörden und sich selbst bereichernden Parteikadern zu lindern, steht offen. Die sozialen Proteste auf dem Land schienen zuletzt eher zu- als abzunehmen.
Außenpolitisch ist Peking derweil ganz auf die Schadensbegrenzung des angekündigten Antisezessionsgesetzes bedacht, das der Volkskongress in den kommenden Tagen verabschieden wird. Sowohl Wen als auch Parteichef Hu Jintao betonten, das Gesetz verändere den Status quo gegenüber Taiwan nicht. Hu sprach sogar von positiven Trends auf der Insel. Gemeint waren die jüngsten Versprechen des taiwanischen Präsidenten Chen Shui-bian, die Unabhängigkeit der Insel nicht weiter voranzutreiben. GEORG BLUME