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Archiv-Artikel

Außerirdisches Wien

ECHO Die Tradition des Dubreggae wird heute in Europa gepflegt, während sie am Ursprungsort Jamaika bedeutungslos geworden ist. Dub ist die Folie für alle Produktionsmethoden in der zeitgenössischen elektronischen Popmusik

Dub kennt kein Original und kein Eigentum. Copyright existiert in Jamaika nicht

VON KLAUS WALTER

Hier kommt der nächste Retter der Menschheit: „Ich werde meine eiserne Rüstung anziehen und den Satan von der Erde verjagen. Ich werde ihn in den Weltraum schicken und die menschliche Rasse retten.“

Mein Bedarf an Teufelsaustreibern und Menschheitsrettern ist gedeckt. Es sei denn, Lee „Scratch“ Perry erhebt seine Krächzstimme, um Satan outa space zu schicken und die human race zu retten. Zumal er das zu einem jamaikanischen Klassiker tut, der seine Wirkung nie verfehlt. Für Max Romeo hatte Perry 1972 den Hit „Chase the Devil“ produziert. Damals wurde übrigens noch nicht die Welt gerettet, Ziel war bloß, „to find another race“. Seither ist „Chase the Devil“ bedeutender Baustein der jamaikanischen Riddim Culture, zitiert, verarbeitet, gesampelt ad infinitum, wie ja die ganze Kultur strukturell genau das ist: remix- und recycelbar. Prominent gesampelt wird „Chase the Devil“ in „Out Of Space“, dem Hit der englischen Rave-Hools The Prodigy.

Musik als Erfahrungsmatrix

Wenn also Lee „Scratch“ Perry, inzwischen 73 und der weltweit anerkannteste Außerirdische der afrodiasporischen Musikologie, seine Duftmarke auf dem Planeten Erde hinterlässt, dann ist das Grund genug, mal wieder das Loblied auf die jamaikanische Musik zu singen. Oder besser, auf Dub als durchgreifende Erfahrungs- und Produktionsmatrix der zeitgenössischen Musik, und zwar outernational: in Kingston wie in Brixton wie in Wien.

Ausgerechnet in Wien ist Lee „Scratch“ Perry jetzt gelandet, aber warum auch nicht, ein Katzensprung aus Einsiedeln. In dem Schweizer Dorf mit dem perryfekten Namen hat der Reggae-Pionier vor 20 Jahren die Musikerin Mireille Campbell geheiratet. Seither ist er dort „als ‚verrückter Paradiesvogel‘ bekannt, der seine ausgefallene Kleidung gerne mit CDs schmückt“ (Wiki). Nicht nur mit CDs. Als Krone auf dem Perry-Haupt müssen auch mal tragbare TV-Geräte herhalten.

Nach Wien ist er gereist, um mit der Gruppe Dubblestandart das Album „Return From Planet Dub“ aufzunehmen. So würde man die Geschichte analog erzählen. Ob sich der Außerirdische tatsächlich an die Donau begeben hat oder einfach nur ein paar Soundfiles transferiert wurden, spielt in Zeiten digitaler Ortlosigkeit auch keine Rolle mehr. Wenn wir in der Rede über Pop an der Kategorie des Lokalen festhalten, dann ist das oft der hilflose Versuch, frei flottierende Musik zu verorten, ihr eine geografische Herkunft zu verpassen und Erzählkonventionen wie jene von einem bestimmten „Sound of the City“ in die Gegenwart zu retten. Wo wir doch wissen, dass, sagen wir, Detroit Techno heute überall entstehen kann.

Um das Begriffsdilemma der digitalen Ortlosigkeit zu umgehen, kommt die Metapher von Lee „Scratch“ Perry, dem Außerirdischen, ebenso gelegen wie das Konstrukt vom Planeten Dub. Eine Ahnung vom exterritorialen Dilemma hat ein Blogger, der schreibt: „Dubblestandart show that Vienna still can be Jamaican territory.“ Seit mehr als 20 Jahren versuchen Dubblestandart den Nachweis, dass die Stadt des Opernballs jamaikanisches Territorium sein kann. Die vier Wiener haben sich der Pflege und Verbreitung jamaikanischer Musiktradition verschrieben.

Kompetente Dub- und Reggae-Traditionspfleger gibt es in vielen Ländern des weißen Mitteleuropa, von Großbritannien gar nicht zu reden, dort lebt die karibische Musik seit Generationen, später Segen des Kolonialreichs. Aber es lauern Fallen, wenn sich europäische Whiteys bedanken wollen für jamaikanische Inspiration. Schnell betreibt man das, was Douglas Coupland „Cultural Aping“ nannte. Man äfft die edlen Wilden nach und wischt Zweifel an regionalen Gepflogenheiten mit dem Hinweis auf jahrhundertelang gewachsene kulturelle Differenzen vom Tisch. Glücklicherweise stirbt der Phänotyp des wasserscheuen weißen Rasta-Messis hierzulande allmählich aus und mit ihm der strenge Geruch von Vokü mit Selbstgedrehten. Auch versichern sich immer weniger Jamaika-Affine ihrer Zugehörigkeit zur Rastanation mit einem jamdenglischen Patois, das in den Neunzigern hierzulande bei ansonsten wenig amüsanten Reggaekonzerten unfreiwillige Komik ins Spiel brachte. Während der Einfluss des klassischen Dub-Reggae im Dancehall-Sound der Gegenwart schwindet, werden in Europa einer jamaikanischen Musik von Gruppen wie Dubblestandart Denkmäler errichtet.

So bietet die Vergangenheit eine Zuflucht für Reggaefreunde, die sich ihren ästhetischen Genuss nicht von der mitunter krassen Homophobie im modernen Ragga trüben lassen wollen. Dabei war geschlechterpolitisch früher wahrlich nicht alles besser.

Bass und Homophobie

Karibische Kontinuität in der Liebe zum Bass wie im Schwulenhass, das sind so die Widersprüche bei einer outernationalen Begegnung wie „Return from Planet Dub“. Auf 25 Tracks schlagen Dubblestandart den großen Bogen: von Dub-Klassik aus Kingston über britischen Post-Punk-Reggae, wie er beim On-U-Sound-Label gepflegt wurde, hin zum aktuellen Dubstep.

Neben dem Schamanendarsteller Perry gastiert die Schamaninnendarstellerin Ari Up, vor 30 Jahren Mitbegründerin der tollen englischen Band Slits, die sich rechtzeitig aufgelöst hat, bevor ihr irrwitziger Mix aus Rasta-Schaman-Humbug, Post-Punk und Feminismus ins Nina-Hagenhafte trudeln konnte. Seite an Seite brabbeln, krächzen und kreischen sich die beiden durch unverwüstliche Hits wie „Blackboard Jungle“ oder eben „Chase the devil“, die Perry vor bald 40 Jahren schuf. Er besucht also gewissermaßen das Wiener Perry-Museum Dubblestandart und hält Hof.

Lee Perrys Beitrag zu dieser Musik ist, abgesehen von seiner freaky Märchenonkelstimme, bescheiden. Aber die Frage nach dem eigentlichen Beitrag ist schon die falsche Frage bei dieser uneigentlichen Musik. Dub kennt kein Original und kein Eigentum. Die globale Dubkultur funktioniert nur, weil es in Jamaika kein Copyright gibt. Darauf weist der englische Reggaekritiker Steve Barrow in „Dub Echoes“ hin. Auch „Dub Echoes“ gibt es in zwei Versionen. Als Doppel-CD-Compilation mit dem verdienten Untertitel: „Jamaican Kings Meet Electronic Futurists Worldwide“. Und als Dokumentarfilm von Bruno Natal über Dub von seinen jamaikanischen Anfängen zur globalen elektronischen Musik.

„Im Kapitalismus ist immer nur das Neue das Gute“, sagt Barrow im Film. „Nur das neue Auto, nur das neue Mobiltelefon. Die jamaikanische Musikkultur belegt das Gegenteil. Hier kann man heute einen 40 Jahre alten Riddim nehmen und damit einen Hit haben.“ Die belgischen Mash-up-Spezialisten 2 Many DJs ergänzen: „Etwas nehmen, was es schon gibt, und daraus etwas Neues machen.“

Der Recyclinggedanke liegt der Dubkultur genauso zugrunde wie das Do it yourself. King Tubby war ein Meister des D.I.Y. und wird in „Dub Echoes“ als Erfinder des Dub gewürdigt. Ein ausgebildeter Elektriker und selbst ausgebildeter Tontechniker, der es verstand, aus der Mangelwirtschaft etwas Kostbares zu schaffen. Und den Fehler als Chance zu sehen. Schließlich ist der erste Dub-Track aus Versehen entstanden. Tubby, der Tontechniker, lässt versehentlich Teile der Vokalspur weg, die Platte wird gepresst, und fertig ist das Dub-Instrumental. Fortan erscheinen die Singles auf Jamaika mit einer Dub-Version auf der B-Seite, bald folgen 12-Inch-Maxis mit integriertem Dub-Teil.

Über den Dub wird getoastet, in den USA nennen sie den Sprechgesang Rap, als ein Jamaikaner namens Clive Campbell mit seinem Soundsystem in der Bronx ankommt. Aus Campbell wird DJ Kool Herc, aus der jamaikanischen Mangelwirtschaft wird die Milliardenindustrie Hiphop. All das erzählen die Protagonisten in „Dub Echoes“, darunter Veteranen wie Lee Perry und U Roy, aber auch der junge Londoner Dubstep-Produzent Kode 9. Bestes Edutainment, diese Dokumentation.

■ Dubblestandart ft. Lee „Scratch“ Perry & Ari Up, „Return From Planet Dub“ (Collision/Indigo) ■ „Dub Echoes: A Definitive Documentary Of Dub Music From Its Jamaican Roots To Electronic Music Worldwide“. A Film By Bruno Natal (DVD, Soul Jazz/Indigo) ■ „Dub Echoes – Sonic Excursions In Dub And Beyond: Jamaican Kings Meet Electronic Futurists Worldwide“ (Soul Jazz/Indigo) ■ Lee „Scratch“ Perry, 17. Juli, Haus der Kulturen der Welt, Berlin