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Archiv-Artikel

Republik rund um die Uhr

Reden wie zur Verteidigung der nationalen Sicherheit: In der neuen Akademie der Künste am Pariser Platz lasen Prominente 24 Stunden lang aus Schillers Werken

Laut Adolf Muschg, dem Präsidenten der Akademie der Künste Berlins, war es eine „vorgezogene Einweihung des neuen Akademiebaus an seinem historischen Ort“, dem Pariser Platz. Es sollte aber noch viel mehr sein.

„Eine Hundertschaft der besten Schauspielerinnen und Schauspieler deutscher Sprache“ kündigt das Presseheft der Veranstaltung „Schiller 24“ an, „vier leibhaftige Bundesminister, Opernstars, Popsänger, Schriftsteller, Philosophen und DJs – und alle lesen, singen Schiller – 24 Stunden, rund um die Uhr, ohne Pause: Das ist die schönste Zumutung der Fernsehgeschichte“. Der ZDF-Theaterkanal überträgt live. Von Marcel Reich-Ranicki über Richard von Weizsäcker bis hin zu HipHoppern wie dem Ex-Viva-Moderator Tyron Ricketts reicht das Sammelsurium auftretender Promis.

Mit Erfolg: Das noch nicht ganz fertig gebaute Haus am Brandenburger Tor ist am frühen Samstagabend bereits proppenvoll. In den Lesesaal selbst gelangt man kaum, weshalb die meisten Zuschauer mit der Großbildleinwand im Parterre Vorlieb nehmen müssen. Die hermetische Apparatur des Fernsehens bestimmt den Event, sodass man das Geschehen selbst in der „Presselounge“ nur über Plasmabildschirme verfolgen kann. Stundenlang stehen sich die Zuschauer vor der Glaswand des Fernsehstudios die Beine in den Bauch, um endlich einmal selbst im kameragespickten Epizentrum der Ereignisse sitzen zu dürfen. Doch ist das alles wirklich „ein kollektiver Aufstand gegen die Inhaltsleere, den hohlen Starkult und die sprachliche Verarmung einer überinformierten und unreflektierten Mediengesellschaft“ (Presseheft)?

Man muss nicht Theodor W. Adornos Kritik der Kulturindustrie kennen, man muss nicht einmal wissen, aus welchen Gründen die Weimarer Klassik schon in den restaurativen Fünfzigerjahren der Bundesrepublik zu so etwas wie der Ersatzideologie für verlorene Herrschaftsansprüche deutscher „Kultur“ stilisiert wurde, um zu ahnen, dass derartige TV-Inszenierungen in der Regel das genaue Gegenteil von dem bedeuten, was ihre Ankündigungen vollmundig behaupten.

So tritt denn Otto Schily vor das deutsche Fernsehpublikum und dankt der Akademie der Künste für die „schöne Idee“, um, „wie könnte es anders sein“, aus Schillers Schrift über das Erhabene zu lesen. Es klingt wie eine Bundestagsrede zur Verteidigung der nationalen Sicherheit.

Wenig später kommt Jürgen Trittin ans Pult und murmelt eine Passage aus „Wilhelm Tell“. Ein äußerst hölzerner Vortrag auch dies: Seine Botschaft soll wohl sein, dass das Schillerjubeljahr von der Bundesregierung dankbar aufgegriffen wird, um sich mit der beliebig vereinnehmbaren Ikone des „Volks der Dichter und Denker“ zu schmücken – gestern Goethe, heute Schiller. Man ahnt bereits, dass auch Corinna Harfouch, als Magda Goebbels in der Hitlerarie „Der Untergang“ gerade in aller Munde, ebenfalls hier ist, um in bierernster Weise mitzuwirken an diesem medialen Mammutfestspiel zugunsten der Selbstdarstellung einer Berliner Republik, die historisch wieder mit sich im Reinen sein will.

Immerhin gibt es auch Darsteller wie Herbert Fritsch und Jeannette Spassova von der Volksbühne zu sehen, die Kontrapunkte zum salbungsvollen Getue setzen. Fritsch liest in der für ihn typischen Flapsigkeit aus Schillers „Vorwurf an Laura“, einem vor Erotik schier berstenden Text, und steigert sich dabei in eine derartig übertriebene, rotgesichtige Raserei, dass man befreit auflachen kann. Jeannette Spassova saß einfach herum und war schön: ein ironisches Bild, das für vieles entschädigt.

Überraschenderweise überzeugen wenig später auch Leander Haußmann und seine Schauspieler (u. a. Detlev Buck, August Diehl und Paula Kalenberg), die aus dem Drehbuch einer geplanten TV-Verfilmung von „Kabale und Liebe“ lesen. In sechzig Minuten proben sie einen kompletten Durchlauf des Stücks. Das ging nicht ohne Pannen ab, die gerade die Liebenswürdigkeit der Darbietung ausmachen. Mehr solcher „Zumutungen“ hätten der Veranstaltung gut getan. JAN SÜSELBECK