: Die neuen Planeten
Im nordenglischen Newcastle wurden am Wochenende die „World Music Awards“ der BBC vergeben. Der Weltmusik-Preis mausert sich allmählich zur wichtigsten Bewertungsinstanz des globalen Genres
VON DANIEL BAX
Tief in ihre Turbane und Gewänder gehüllt, standen die Tuareg-Musiker der Band „Tinariwen“ im Halbdunkel, da wurden sie noch einmal von der Bühne gerufen. Kurz darauf eröffneten die englische Folk-Sängerin Eliza Carthy und der Dub-Poet Benjamin Zephaniah, die als Moderatoren durch den Abend führten, die Gala-Show mit kleinen Witzeleien. Doch auch sie mussten wieder von vorne beginnen: Eine Beleuchtungspanne erforderte die Wiederholung der Szene. Bei einer Oscar-Zeremonie wäre so etwas wohl nicht passiert.
Doch wie jede Preisverleihung, orientierte sich auch die Verleihung des World Music Awards der BBC an den üblichen Routinen: Mit Verkündung der Preisträger, Vergabe der Preise durch mehr oder weniger illustre Gäste sowie kurzen Auftritten der prämierten Künstler. Vor vier Jahren wurde der Preis durch das BBC-Radio 3 ins Leben gerufen, der Welle für Klassik, Jazz und Weltmusik. In Newcastle, weitab von London, fand am Samstag die nunmehr vierte Awards-Verleihung statt, und das mit gutem Grund: Zum einen verfügt die nordenglische Industriestadt seit drei Monaten mit dem „Sage“ über eine Konzert- und Konferenzhalle von Weltrang: Wie ein riesiges, gläsernes Dinosaurierei liegt der futuristische Bau von Sir Norman Foster am Ufer des Flusses, der Newcastle mit seiner Partnerstadt Gateshead verbindet. Zum anderen wird hier im Herbst erstmals die Weltmusik-Messe WOMEX Station machen, und dafür stellte die Awards-Gala der BBC auch eine kleine Generalprobe dar.
Der erste Preis des Abends ging an die Gruppe „Tinariwen“, die nach dem Bürgerkrieg in Mali ihre Maschinengewehre gegen Gitarren getauscht hat. Mit ihrer elektrifizierten Version traditioneller Tuareg-Songs haben sie sich einen Ruf als authentische soul rebels aus der Wüste erspielt, und dafür durften sie als Gewinner in der Kategorie „Afrika“ wieder nach Hause reisen.
„Weltmusik“ ist natürlich ein Allerweltsbegriff, um ihren Tuareg-Blues einzuordnen. Dennoch hat sich der Begriff etabliert, und auch das entsprechende Marktsegment floriert. Grund genug für die BBC, einen „Planet“ genannten Preis zu stiften, der den orientierungslosen Konsumenten auf neue Talente aufmerksam machen soll.
Es sind vor allem die Künstler, die noch am Anfang ihrer Karriere stehen, welche die Bedeutung dieser „Planeten“ gar nicht hoch genug veranschlagen können. Die portugiesische Fado-Sängerin Mariza etwa gewann vor zwei Jahren einen Award und sieht dies als Wendepunkt. Als sie ihrer Kollegin Lhasa, die gerade mit gutturaler Stimme eine ihrer spanischen Balladen vorgetragen hat, einen Preis überreicht, gibt sie ihr voller Pathos mit auf dem Weg: „Ich hoffe, dieser Preis verändert dein Leben so, wie er meines verändert hat.“ Und auch der argentinische Akkordeonist Chango Spasiuk lobt den Abend als „ein Fenster der Toleranz“ in den höchsten Tönen. Der Musiker stammt aus dem Nordosten seines Landes, der Heimat der Chamamé-Musik, die er mit seinen innovativen Improvisationen ins 21. Jahrhundert katapultiert. Sein Beispiel zeigt aber auch, welch ein geschlossener Kosmos die „Weltmusik“-Szene inzwischen geworden ist. Denn Spasiuk wurde in Newcastle als „Newcomer“ ausgezeichnet, obwohl er in seiner Heimat schon viele Platten veröffentlich hat – aber erst in diesem Jahr sein erstes bei einem europäischen Weltmusik-Label.
Nicht jeder, der weltweit als „Weltmusik“-Star gefeiert wird, ist auch in seinem Heimatland eine Größe. Umgekehrt aber steigert die Anerkennung im Ausland das Prestige zu Hause. So dürfte der BBC-Award in Argentinien den Ruf von Chango Spasiuk befördern, der dort noch kein household name ist. Und auch in Bulgarien dürfte man aufmerken, das der Saxofonist Ivo Papasov mit dem Public Award ausgezeichnet wurde, dessen Gewinner nicht durch eine Jury, sondern durch die Hörer von Radio 3 und dem World Service der BBC gekürt wird.
Der Publikumspreis ist ein Gradmesser für die zunehmende Bedeutung des Weltmusik-Preises – und die Verleihung an Ivo Papasov ein Zeichen dafür, dass er sich allmählich auch außerhalb der Insel herumspricht. Denn Radio 3 allein hat im Königreich nur ein paar hunderttausend Hörer. Doch weil die Übertragungsrechte an der Show an Sender in ganz Europa vergeben werden, finden die Weltmusik-Awards ein Publikum, das mehrere Millionen zählt.
Der algerische Sänger Khaled, der zum Abschluss einen Planeten, den „Middle East“, überreicht bekommt, hätte den Preis für seine Karriere sicher nicht mehr nötig gehabt. Dafür sorgt er zum Finale für den nötigen Funken Glamour. Mit Anzug und zehnköpfiger Bigband darf er als Einziger mehr als die üblichen zwei Stücke spielen. Als eine Art arabischer Frank Sinatra ist er längst nicht mehr nur der „König des Rai“, sondern ein König der Weltmusik. Wie er mit tiefer, kehliger Stimme erst eine arabische Ballade eröffnet, um gleich darauf nahtlos einen seiner Hits anzuschließen, zeigt, dass er längst in einer eigenen Liga spielt. Es fehlten nur noch die Luftballons, das Feuerwerk und der Konfettiregen: Ansonsten hätte sein Auftritt auch jede Oscar-Verleihung geschmückt.