: Nennen wir es: Angezogensein
Auf den Pariser Prêt-à-porter-Schauen besannen sich viele Modehäuser auf ihre Ursprünge: die Arbeit an der Form. Nicht mehr sexy, sondern sophisticated ist angesagt. Und: Der Pelz ist zurück
AUS PARIS KATRIN KRUSE
Da hieß es schon: Schwarz kommt zurück. Und dann beginnt ausgerechnet Yohji Yamamoto sein Pariser Defilé mit diesem pinkfarbenen Mantelkleid, wo die Ärmel flattern, die Säume und die Schleifen. Danach ist erwartungsgemäßes Schwarz zu sehen, wunderbare Proportionsverzogenheit aus fester Wolle. Dreiviertellange Mäntel mit tulpigem Volumen knapp über der Hüfte, die Kostümjacke mit drei Krägen oder der Mantel, der drei verschieden lange, geschwungene Saumlängen hat – Mini, Midi, Maxi. Denkt man am Ende der Pariser Prêt-à-porter-Schauen, die bis gestern zu sehen waren, an Yamamotos Defilé zurück, dann ist vieles von dem, was jetzt „Tendenz“ heißt, dort schon zu sehen gewesen: viel Schwarz, viel Spiel mit Volumen und dann, am Rande, diese Neigung, ein Kleid, eine Jacke einfach in schwarzen Chiffon zu hüllen, zu verstecken. Nur Pelz gab es nicht bei Yamamoto. Reichlich dafür neben dem Laufsteg. Der Pelz nämlich kommt wieder – und ist schon da.
Es wird ein heißer Winter
Nach der Yamamoto-Schau ist die Schlange der Gratulanten lang – „Thank you! How wonderful!“ –, Bewunderer, Freunde und Heuchler. In der Mitte des Raumes ein schwarz-braun-blonder Haarteilhaufen, die Models halb nackt, halb schon in Strumpfhosen, die Kleider in Hüllen verpackt. Der Materialkontrast, die Farben? Er habe über den Winter nachgedacht, sagt Yamamoto, und: „Mr. Yamamoto’s weather report for next year: the winter is gonna be hot.“ Wenn Mr. Yamamoto „hot“ sagt, meint er – keine Frage – die Temperaturen. Zur Konnotation wäre zu sagen: nein. In den Kollektionen des nächsten Winters weicht jede offenkundige Sexyness einer subtileren Form. Nennen wir es: Angezogensein. Mehr Haltung, mehr Distanz, mehr Persona. Und wenn man auch sagen kann: sehr weiblich, dann darum, weil sich viele Häuser auf ihre Anfangszeit besinnen, sich auf die Suche nach ihrer Tradition machen – und ihrer Übersetzung in Ökonomie: ihrem unique selling point. Die Anfangszeit, das war, als Mode vor allem Arbeit an der Form und Weiblichkeit in der Mode eine feste Größe war.
Céline etwa, sechzigjähriges Jubiläum in diesem Jahr. Viel lag in den starken Farben und der Simplizität von klaren Linien und Musterlosigkeit: Zum ausgestellten Rock den roten Gürtel und die Seidensatinbluse mit überlangen Ärmeln in Fuchsia. Die Kellerfalte war an Mänteln und den knielangen Röcken zu sehen, und bei den längeren, schmaleren Röcken machte sie, dass die im Gang einen Fall hatten wie Herrenhosen. Sehr pariserisch sei die Kollektion, sagte Chefdesigner Roberto Menichetti, sehr 40er-Jahre gedacht. Man macht das dieser Tage ganz schön, wenn man zur Arbeit an der Form zurückkehrt, ernsthaft, unaufgeregt, ohne Rückwärtsverlangen und ohne wissende Ironie. Und die Frauen werden älter, aber jünger, oder: Es ist so eine Fünfunddreißigjährigkeit in der Mode.
„Uma is so fresh these days.“ Marc Jacobs, Chefdesigner von Louis Vuitton, hat keinen Zweifel, dass Uma Thurman LV wunderbar repräsentiert. Man stelle sich doch an ihrer statt einmal so ein „junges Modeding“ vor – und es folgt sofort ein schnelles „I am not saying she is old!“. Während Uma Thurman backstage von rufenden, aufgeregten Fotografen umringt ist, Marc Jacobs umarmt, strahlt und den Kopf beständig wenden soll – „Uma, please, Uma“ –, spricht unweit davon eine deutlich jüngere, deutlich auf fünfunddreißig zugehende Frau große Sätze in die Kamera: „He did anything one could hope for fashion.“
Und, ja: Marc Jacobs Kollektion für Louis Vuitton ist in der Tat sehr schön. Poetisch, verfeinert, elegant und streng: Da waren feste Mäntel von käferartigem Volumen – zweireihig geknöpft, dreiviertellange Raglanärmel – die ein paar Handbreit unterm Knie endeten; taillierte schwarze Mäntel, deren Nähte waren goldene Linien und knappe Kostüme mit Pelzkragen. Da war die gelb-schwarze Hahnentritt-Jacke, von schwarzem Chiffon umhüllt, die Ballonkleider in Brombeere und Saphirgrün, in denen sich Empire und Babydoll trafen und deren Musterung an Art Déco erinnerte. Taschen, Taschen zu jedem Outfit: länglich, gedeckt im Ton, mit einem einzigen festen Henkel und erfrischend dezentem Monogramm.
Mit „It’s all about finding Margaret Thatcher sexy“ hatte Jacobs im letzten Jahr die Rüschenblusen seiner eigenen Linie kommentiert. Er habe Helmut Newtons Autobiografie gelesen und darin diese Stelle gefunden über die sexuelle Attraktivität einer Frau mit Macht. Wollte man das übertragen, auf jetzt, auf Louis Vuitton, sagt er, wäre es: Sophistication statt sexy thing.
Tumult unter den Fotografen heißt: Celebrity, und Celebrity ist relativ. Dita Van Teese, vor der Westwood-Schau im Zentrum medialer Aufmerksamkeit, hat das Haar in glänzend schwarze Wasserwellen gelegt, seitlich sitzt keck ein königsblauer Hut, passend zum Kostüm. Wenige Stunden später, bei Dior, bleibt die Verlobte Marilyn Mansons, jetzt in schwarzem Kostüm, unbemerkt. In der ersten Reihe sitzen Julianne Moore und Diana Ross und lächeln in die vibrierende Fotografentraube hinein: Dort liegt man, schunkelt, drängt nach, und die Leibwächter halten gegen. Auf Moores schmalem Rücken die große Hand ihres Ehemanns.
Die Kollektion, die John Galliano für Christian Dior entworfen hat, ist außerordentlich tragbar – Galliano ist eher für das Spektakel bekannt, die Lage aber erfordert Verkäuflichkeit – und umfasst vor allem: Pelz. Lange Zeit ist man zurückhaltend gewesen, jetzt ist der Pelz wieder da. Dunkelrot, tailliert, mit Leder abgefasst. Ausflüge ins Volumen auch hier, das hellbraune Lammfellkleid etwa: ein Ballon, der unter der knapp gehaltenen Büste beginnt und kurz unterm Knie endet. Dann die Roben, Mintgrün oder Mauve: Dass man den Glamour des Hollywood der 40er-Jahre wieder sucht, Aviator und so weiter, dafür liefert Dior ein gutes Beispiel. Als Galliano nach der Schau im weißen Anzug über den Laufsteg paradiert, folgen ihm zwei Leibwächter. Er bleibt unbehelligt, dafür geschieht Anna Wintour, der Chefredakteurin der amerikanischen Vogue, einige Tage später vor der Chanel-Schau das, wofür die französische Sprache ein eigenes Verb bereithält: „entarter“, also etwa: betorten. „Sie sollten sich schämen“, soll die junge Frau gerufen haben, als sie Wintour die Torte ins Gesicht warf. Wintour blieb kühl, erneuerte ihr Make-up und nahm die Schauenroutine wieder auf.
Die Kundinnen in der ersten Reihe bei Chanel, möglicherweise haben sie Mademoiselle noch selbst gekannt. Eine trägt eine Pelzkappe für drei. Drei andere tragen Kostüme. Und warten auf Kostüme. Der Laufsteg sieht aus wie Christos Installation im Central Park, nur sind die Torbögen silber und die Fahnen fehlen. Eine einzige Ziellinie also. Was für eine unfünfundreißigjährige Kollektion ist das, die hindurchläuft! Chanel-Mädchen! In hellen Schulmädchenfaltenröcken aus Bouclé – ein sportiver Mix aus Leggings, langen grauen Wollschals, gestrickten Mädchenmützen, Stilettostiefeln und Twiggy-Augen. Ob Suzy Menkes, die Moderedakteurin der International Herald Tribune, in der nächsten Saison ihren Platz bekommt? Die Botschaft der Kollektion, so schrieb sie, habe Lagerfeld überdeutlich mit dem omnipräsenten CC ausgerufen: Commercial, Commercial.
Anders Vivienne Westwood. Die kamelfarbenen Mäntel trugen das „Propaganda“-Banner, die Kollektion war überschrieben mit „The more you consume, the less you think“. Westwood zeigte eine Kollektion, die sehnsüchtig machte nach ihren früheren Kollektionen. Kleider, aus denen erneut diese Rechtecke herausstanden, breite Passen, die in seltsam liebloser Draperie auf der einen Seite in einen Rock, auf der anderen in eine kniekurze Hose ausliefen. Halbschräg gelegter Stoff, der nicht recht wusste, wohin, und ein mausfarbener Daunenmanel wie ein gezottelter Schlafsack. Nicht kaufen also? Und die erstmals zu den Schauen herausgebrachten „Diamonds“-Kollektion, diamantenbestückte Sicherheitsnadelketten aus Silber?
Die Absätze auf dem Steinboden
Dries Van Noten hatte sein Publikum schon vollends melancholisiert, da hatte das erste Model noch nicht einmal den Laufsteg betreten. Als es auftrat, gab es keine Streicherklänge mehr, sondern nurmehr den festen Klang der Absätze auf dem Steinboden der École des Beaux Arts. Dass Models gehen, ist ja nichts Ungewöhnliches, mit welchem Effekt das geschieht, variiert ganz ungemein. Es mag eine angestrengte Parade sein, ein karges Hasten. Bei Dries Van Noten ist es ein feierlicher Gang. Und doch: Wie kann es sein, dass ein dreiviertellanger Rock aus Goldlamé so beiläufig daherkommt, als liefe das Model eine Landstraße hinab? Ein wenig old Bohemian – schwarze Wollkostüme mit großem Pelzkragen, der Rock mit breitem Pelzbesatz am Saum, Herrenhosen, schmal bis zu den Knien aufgerollt, beigefarbene, schwingende Röcke, auf denen Blüten aus roten Steinen sind, rauchblau-orange gemusterte Seidenkleider und Farben gegeneinander gesetzt, Fuchsia, Türkis, Ocker, Taupe.
Es ist eine eindringliche Präsenz, die Dries Van Noten zu schaffen vermag, und nie ist da mehr als eine Ahnung von etwas Vergangenem. Und als er am Ende kurz erscheint, ist Dries Van Noten mit beigefarbenen Bundfaltenhosen und weißem Hemd unter schwarzem Pullover in die denkbar unauffälligste Uniform gehüllt. Aber da ist ja der Backstage-Pass, der um den Hals hängt. So geht kein Designer verloren.