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Archiv-Artikel

Mode für alle

FASHION WEEK Von Wedding bis zum Flughafen Tempelhof – Berlin zeigt sich in diesen Tagen von seiner schönen Seite. Und ist in seiner Haltung zu Dresscodes und Outfit erfrischend vielseitig und antielitär

Ihre Mode drückt das Lebensgefühl dieser Stadt aus: wir sind jung und schön und haben Spaß

VON ELISABETH RAETHER

Dreimal steht in riesigen schwarzen Buchstaben BERLIN auf den Stofftaschen, die man bei der Modemesse Bread & Butter in die Hand gedrückt bekommt, um seine Magazine, Kataloge und Werbegeschenke zu transportieren. Berlin ist die Hauptfigur der zahlreichen Veranstaltungen, die hier während der Mercedes-Benz Fashion Week stattfinden.

Den Berliner Modemessen ist gemeinsam, dass sie in alten Zweckbauten veranstaltet werden, die überholt sind und langsam zerfallen. Es ist wie in den 90er-Jahren, den schönsten Jahren, wie manche sagen, die die Stadt erlebt hat, als Partys in ehemaligen Postämtern und Staatsbanken gefeiert wurden.

Bread & Butter, Premium und Biowurst

Die Bread & Butter findet im alten Flughafen Tempelhof statt, hier sind Denim- und Streetmarken wie Converse, Bench, G-Star und Miss Sixty vertreten, die für ihren Auftritt die Street Cred der Stadt Berlin gut gebrauchen können. Die Premium präsentiert im ehemaligen Postgüterbahnhof, einer Backsteinanlage beim Gleisdreieck, Mode mit Ambitionen aus dem mittleren Preissegment und Zweitlinien internationaler Designer wie DKNY und Day Birger et Mikkelsen.

Wedding Dress, eine Art Modefestival mit Showrooms und Livekonzerten, findet im angentrifizierten Bezirk Wedding statt. Hier zeigen junge Designer, zwischendurch kann man an einem der Stände eine biologisch hergestellte Bratwurst essen.

IMG, der Veranstalter der Mercedes-Benz Fashion Week Berlin, hat auf dem Bebelplatz ein großes weißes Zelt aufgebaut, wo die Runway-Schauen stattfinden. Stewardess-artig gekleidete Frauen reichen gekühltes Mineralwasser und Tütchen mit schwarzer Mascara. Man bekommt hier nicht viel mit von dem, was in Berlin sonst passiert. Draußen Unter den Linden stehen ein paar müde Touristen, die auf die Plateauschuhe aus durchsichtigem Plexiglas starren, die Sara Nuru, Gewinnerin von Germany’s Next Topmodel, trägt. Fotografen umringen sie, sie wird hier für ein paar Designer laufen.

Zum Beispiel für Anja Gockel, die die letzten Jahre in London gearbeitet hat und zum ersten Mal eine Schau in Berlin zeigt. London, Berlin – Gockels Kollektionen sind trotzdem alles andere als urban, und die schöne Sara sieht in den Satinkreationen aus wie ihre eigene Mutter.

Doch im Zelt sind auch interessante Looks zu sehen. Bei Lala Berlin ist die Stimmung gut. Es wird gejubelt und gelacht, als hätte Leyla Piedayesh, die Gründerin des jungen Labels, ihre ganzen Freunde eingeladen. Ihre Mode drückt das Lebensgefühl dieser Stadt aus: wir sind jung und schön und haben Spaß. Überlange Strickjacken, die auf hübsche Weise fast auseinanderfallen, lässig sitzende Haremshosen, wie MC Hammer sie in den Achtzigern trug, goldene Nieten und Chiffon, schwarz und pink.

Bei Strenesse Blue zeigt Viktoria Strehle, 31 Jahre alt, Stieftochter der Markengründerin Gabriele Strehle, eine Kollektion, die die Trends der Zeit aufnimmt. Die Models tragen weiße Stetsons, Johnny Cash singt, ansonsten: Jumpsuits aus Seide, locker sitzende Bundfaltenhosen, sandfarbene Oxforder-High Heels, knappe Shorts, die auf der Taille sitzen, dazwischen ein einfacher schwarzer Trench und ein nachtblauer Kapuzenanorak. Viktoria Strehle weiß, was Frauen anziehen wollen: zurückhaltende Mode, die dennoch zeitgemäß ist.

So gut einzelne Schauen sind, die Mode selbst scheint bei der Berlin Fashion Week nicht im Mittelpunkt zu stehen. Wichtiger ist das, was an den vielen verschiedenen Schauplätzen in der Stadt passiert: die Party, die Show. Mode wird so als Event verstanden, jeder kann mitmachen, ein Spektakel für alle.

In Paris und selbst in New York war Mode lange einem exklusiven Kreis vorbehalten. Noch heute geht es in Paris um Visionen und Ideen, dort ist Mode ein Kunsthandwerk mit Tradition und einem bestimmten Ethos. Wolfgang Joop, der zu einem Cocktail in seinem Wunderkind-Shop am Gendarmenmarkt einlädt, wirkt mit seinem schmalen, knitterigen Gesicht tatsächlich ein wenig dünnnervig. Er wird seine Kollektionen auch weiter in Paris zeigen.

Volksnahes Berlin

In Berlin aber hat es die kleinen Salons nie gegeben, in denen früher Mode präsentiert wurde und denen man in Paris noch ein wenig nachtrauert. In Berlin hat keiner etwas dagegen, dass die Mode volksnah ist, laut, Pop. Und da das wahrscheinlich die Zukunft der Mode ist, wird Berlin am Ende wohl doch so etwas wie eine Modestadt werden.

Der Senat hat das offenbar erkannt und fördert zahlreiche Veranstaltungen, wie zum Beispiel die große Showroommeile zwischen Alexanderplatz und Brandenburger Tor. Wie kann die Stadt es ökonomisch nutzbar machen, dass viele den Auftritt hier suchen, hat man sich im Senat gefragt. Man verlässt sich nicht darauf, dass sich in Berlin wie in Paris, New York oder Mailand Modeunternehmen ansiedeln werden, man setzt vielmehr auf Tourismus: viele Veranstaltungen sind öffentlich, und so zieht die Fashion Week immer mehr Besucher an. Berlin braucht die Touristen, und die Mode braucht die faszinierende Aura dieser spröden, heruntergekommenen Stadt.