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Archiv-Artikel

Ein Philosoph auf Streife

IDENTITÄTEN Er erträgt das Leben. Und spottet darüber. Peter Zudeick war Polizist, ist Journalist, ist Autor, ist aber vor allem: der beste Satiriker in diesem Land

Wer als Politiker vor Peter Zudeick sicher sein will, darf sich eigentlich nur noch schriftlich äußern

VON STEFAN KUZMANY

Jetzt soll er wieder lächeln. Für den Fotografen. „Das habe ich doch gerade schon gemacht“, sagt Peter Zudeick – und grinst trotzdem noch mal. Einerseits: Zu posieren, das ist ganz offensichtlich nicht seine Sache. Eitel ist dieser Mann bestimmt nicht, wie er da steht in seiner Jeansjacke – ihm geht es gewiss nicht um ein perfektes Bild seiner äußeren Erscheinung. Andererseits: Peter Zudeick ist gutmütig. Für die Fotos steht er nun schon zehn Minuten im Nieselregen auf einer Treppe gegenüber der taz-Redaktion in Berlin, aber das macht nichts, Zudeick bleibt geduldig, jetzt steigt der Fotograf auf das glitschige Treppengeländer, für die bessere Perspektive, und Zudeick sagt: „Gleich werden Sie fallen.“ Er sagt das ganz ruhig, eher belustigt als besorgt, er sagt nicht: „Lassen Sie mich jetzt in Ruhe.“ Er erträgt das Leben. Und spottet darüber. Peter Zudeick ist Journalist, ist Autor, ist aber vor allem: der beste Satiriker, den dieses Land gerade aufzubieten hat. Aber dazu später und von Anfang an.

Peter Zudeick wurde 1946 in der rheinischen Kleinstadt Haan geboren. Aufgewachsen ist er in Solingen. Er war wohl ein recht renitenter Schüler, jedenfalls hat man ihn kurz vor dem Abitur dazu aufgefordert, die Schule zu verlassen. Weil Zudeick aber studieren wollte, suchte er nach einer anderen Möglichkeit, dieses Ziel zu erreichen. So kam er darauf, die Polizeischule zu besuchen und, was dort möglich war, nebenbei das Abitur zu machen. Wenn Zudeick davon erzählt, hört es sich nicht so an, als seien die drei Jahre bei der Polizei verlorene Zeit gewesen. Gelernt habe er vor allem im Dienst als Streifenpolizist – „das ist, wenn man es richtig macht, eine Art verschärfter Sozialdienst“. Zudeick hätte bei der Polizei Karriere machen können, aber er hatte einen anderen Traum: Germanistik und Philosophie zu studieren. Und Journalist zu werden. So kam es.

Peter Zudeick ist Journalist. Den Journalisten Zudeick kennen Sie bestimmt, wenn Sie ein Radio besitzen und dieses Radio manchmal auf einen öffentlich-rechtlichen Sender einstellen – dann hören Sie über kurz oder lang einen Bericht von Zudeick, eine Analyse oder auch einen Kommentar. Zudeick hat seine Karriere 1976 zwar als Print-Journalist beim Kölner Stadtanzeiger begonnen, ist aber bald zum Rundfunk gewechselt und beliefert seit 1985 als freier Mitarbeiter fast alle Sender der Republik. Sollte sich ihr Radio allerdings in Bayern befinden, dann kennen Sie Peter Zudeick kaum. Das mag mit seiner zweiten und dritten Identität zusammenhängen.

Peter Zudeick ist Autor. Er hat jüngst ein neues Buch geschrieben, es ist nicht sein erstes, am Anfang schrieb er über Ernst Bloch, später über Friedrich Nietzsche. Zudeick hat Philosophie nicht nur studiert, sondern auch seinen Doktor gemacht – aber das würde er sich niemals anmerken lassen. Ein zur Schau gestellter Intellekt ist ebenso wenig seine Sache wie Fotoshootings. Zudeicks jüngstes Buch heißt „Tschüss, Ihr da oben“ und handelt „vom baldigen Ende des Kapitalismus“. Dieses Buch ist dermaßen links, dass man vermuten würde, Zudeick würde eher unter permanenter Beobachtung des Verfassungsschutzes stehen als regelmäßig vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk für Wortbeiträge engagiert werden.

Noch etwa zwanzig Jahre gibt er dem Kapitalismus, und die Erneuerung, die auf den Kapitalismus folgt, sagt Zudeick, wird aus der Bevölkerung kommen. Denn von den Parteien, auch von den Linken, hält er wenig. „Das politische System ist verkarstet“, sagt Zudeick, da wächst nichts mehr. Aber wo kein Humus mehr ist, da kann doch nichts Neues wachsen? Doch, sagt Zudeick, er hat Hoffnung. Und dann erzählt er von den Beispielen, die ihm diese Hoffnung geben. Von den Elektrizitätswerken in Schönau im Schwarzwald, klimaneutral, ohne Atomstrom, in Bürgerhand. Und von Mikrokrediten für Kleinstunternehmer, der alten Raiffeisen-Idee.

Am Ende seines Buches ruft er die Leser auf, anzufangen, etwas Neues zu schaffen, sich zu engagieren. Es ist ein appellatives und manchmal auch witziges Buch, da erinnert er ein wenig an den Amerikaner Michael Moore. Doch Zudeick argumentiert ungleich fundierter – wenn er über Gerechtigkeit schreibt, dann tut er das nicht, ohne den Begriff ausführlich philosophisch herzuleiten. Für manche Leser vielleicht etwas zu ausführlich. „Ich habe auch schon die Beschwerde bekommen, das Buch sei zu kompliziert“, erzählt Zudeick. Der Beschwerdeführer mag sich ein anderes Buch erwartet haben. Vielleicht kennt er Zudeick nur in seiner dritten Identität.

Noch etwa zwanzig Jahre gibt er dem Kapitalismus, und die Erneuerung wird aus dem Volk kommen

Peter Zudeick ist der beste Satiriker, den dieses Land zurzeit zu bieten hat. Ja, das stand schon am Anfang, aber man muss es noch einmal sagen. Und immer wieder. Es könnte ja sein, dass Sie, werte Leserin oder werter Leser, von Berufs wegen zuständig sind für die Programmplanung eines Fernsehsenders, dann seien Sie hiermit angefleht: Geben Sie ihm endlich eine eigene Sendung! Warum? Erzählen Sie jetzt nicht, Sie hätten noch nie Peter Zudeicks satirischen Wochenrückblick gehört. Dann holen Sie das jetzt gefälligst sofort nach. Bestellen sich die CD mit alten Wochenrückblicken. Ja, die gibt es. Warum? Weil die Stücke so gut sind, dass man sie auch ohne aktuellen Bezug wieder und wieder hören kann. Warum die Stücke gut sind? Weil Zudeick mit dem denkbar einfachsten Mittel die Widersprüche der Politiker aufdeckt: er lässt sie selbst sprechen. Er schneidet Originalzitate zusammen und tritt mit diesen Zitaten in einen Dialog. Er fügt Pausen ein, baut Pointen auf. Und zerstört zielsicher jede Worthülse. Man kann fast hören, wie die heiße Luft daraus entweicht.

Wer als Politiker vor Peter Zudeick sicher sein will, dürfte sich eigentlich nur noch schriftlich äußern. Oder sollte in der Lage sein, auch in der freien Rede so präzise zu sprechen wie Peter Zudeick selbst. Sein satirischer Wochenrückblick ist dabei nicht nur inhaltliche Analyse der politischen Rede, sondern durchschaut auch die darin verborgene Emotion. Wenn zum Beispiel die Bundesagrarministerin Ilse Aigner (CSU) in einem Interview dementiert, dass ihre Entscheidung gegen den Genmais doch nur die Kanzlerin ärgern sollte, und sie sich dann schnell von den unangenehmen Journalisten mit einem knappen „Schönen Abend noch“ verabschiedet, dann schiebt ihr Zudeick in seiner Montage noch ein schnelles „Ja, du mich auch“ hinterher. Das funktioniert deshalb so gut, das ist deshalb so komisch, weil es so wahr ist. Es muss eine Geschichte dieser Art gewesen sein, die vor vielen Jahren zum einzigen Ärger mit einem seiner öffentlich-rechtlichen Auftraggeber geführt hat. Man schämte sich dort seiner Frechheiten offenbar so sehr, dass man einen Entschuldigungsbrief an Franz Josef Strauß geschickt hat. In seinem Namen. Ohne ihn zu fragen. Für eine Glos-Glosse Zudeicks, die offenbar versehentlich im BR gelaufen ist, kassierten sowohl der Redakteur als auch der Moderator eine Abmahnung. Es muss andererseits die Bewunderung für Zudeicks Präzision sein, die den ZDF-Anchorman Claus Kleber sagen lässt, den Zudeick mit seinem „unschlagbaren Sinn für Sprache“, den hätte er gerne in seinem Team.

Es gibt nicht viele, die können, was Peter Zudeick kann. In den USA ist es Jon Stewart mit seiner wunderbaren „Daily Show“. Hierzulande hat man ähnliche Fähigkeiten Harald Schmidt zugetraut, aber damit ist es lange vorbei. Und über den Versuch des ZDF, mit der „heute-show“ eine Kopie des Stewart-Formats in Deutschland zu etablieren, schweigen wir lieber. Warum, Herr Zudeick, machen Sie keine Satiresendung im Fernsehen? „Ich bin nie gefragt worden“, antwortet Peter Zudeick. Also bitte.

■ Peter Zudeick: „Tschüss, Ihr da oben: vom baldigen Ende des Kapitalismus“. Westend-Verlag. 232 Seiten, 16,95 €