: „Das Vergnügen Sex und Saufen fand statt“
DDR-ALLTAG Den Trabi wusch man sonntags, am FKK-Strand entzog man sich dem Staat. Sich vergnügen – wie ging das eigentlich? Ein schöner Sammelband zeigt Leben und Spaß in der DDR
taz: Frau Häußer, Herr Merkel, warum braucht es 20 Jahre nach der Wende ein Buch, das sich dem Vergnügen in der DDR widmet?
Ulrike Häußer: Im Vergnügen widerspiegeln sich symbolische und kulturelle Formen, an denen sich eine Menge über das Leben in einer Gesellschaft zeigt. Man kann die Widersprüche einer Gesellschaft ablesen.
Ist das seit 1989 nicht schon reichlich passiert?
In der wissenschaftlichen Aufarbeitung ist das Vergnügen der DDR-Bürger zu kurz gekommen. Deshalb wollten wir es umfassend betrachten – vom Laubenpieperfest bis zur SED-Kulturpolitik mit ihren repressiven wie absurden Vorschriften. Dass es in der DDR überhaupt Vergnügen gab und es oft wenig anders aussah als im Westen, scheint ja immer noch einige zu erstaunen.
Das passt zur aktuellen Debatte, ob man die DDR einen Unrechtsstaat nennen darf.
Marcus Merkel: Es findet eine Art wissenschaftlicher Tanz um die Diktatur statt, um zu begreifen, was in der DDR passierte. Im Gegenzug entwickelt sich eine aus den Alltagserfahrungen gespeiste Ostalgie. Diese beiden Seiten der DDR, Diktatur und Alltag, sind oft nur punktuell zusammenhängend betrachtet worden, zum Beispiel bei der Punkmusik oder in der Konsumkultur.
Das Vergnügen hatte zwei Seiten, die private und die gesellschaftlich-politische. Gab es Überschneidungen?
Auf jeden Fall. Bei den FDJ-Jugendfestivals oder bei den Arbeiterfestspielen haben sich viele Leute vergnügt, wenn auch nicht immer so vorbildlich, wie es die sozialistische Moral und Ethik vorsah. Das Vergnügen „Sex und Saufen“, in einem Text von Harald Hauswald sehr persönlich beschrieben, fand auch auf den staatlich geförderten Frauentagsfeiern statt.
Gab’s einen Unterschied zum Vergnügen in der BRD?
Häußer: In der DDR versuchte die SED häufig, Kultur und Unterhaltung in eine klare politische Richtung und auf ein „hohes Niveau“ zu lenken. Auf der alltäglichen Ebene vergnügte sich das Volk jedoch nicht viel anders als im Westen. Nur gab es dabei besondere Einschränkungen.
Merkel: Die Auseinandersetzung um die Art, wie die Menschen ihren Freizeitspaß suchten, wurde viel intensiver geführt. Wer sich am Wochenende in die Datsche zurückzog, blieb weitgehend unbehelligt. Wer 1980 als Punk zu heimlich organisierten Konzerten reiste, konnte hingegen schnell im Knast landen. Gerade in der Jugendkultur wurde der Generationenkonflikt viel härter mit den staatlichen Institutionen ausgetragen als im Westen. Die von dort überschwappenden Moden und Unterhaltungstrends empfand der Staat oft als Ausgeburt des Klassenfeindes. Selbst wer beim Karneval, der in den Achtzigern ins künstlerische Volksschaffen eingegliedert wurde, zu böse gegen die Oberen witzelte, konnte Ärger mit der Stasi bekommen.
Ist das Scheitern der DDR im Vergnügen zu erkennen?
Darum ging es uns gar nicht, sondern um das ambivalente Verhalten der DDR-Bürger in ihrer Gesellschaft. Sie haben sich im und gegen das System engagiert, die meisten sich mit ihm schlicht arrangiert. Das kann man am Vergnügungsleben viel besser zeigen als an der Arbeitswelt.
INTERVIEW: GUNNAR LEUE