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Archiv-Artikel

Erst warten

Auf dem Weg zur gemeinsamen Schule will sich die SPD in Schleswig-Holstein doch Zeit gönnen

Von Esther Geißlinger

Ach, diese Wähler! Nun hatten alle Parteien tapfer versucht, die Schulfrage zum Top-Thema des schleswig-holsteinischen Wahlkampfes hochzujazzen – und was kam dabei heraus? Das bekannt desolate Ergebnis, das keiner Seite eine klare Mehrheit bringt und die Politiker ratlos zurücklässt. Die Regierungsbildung kriegen SPD und Grüne mit Hilfe des SSW zwar zurechtgeschüttelt, aber was will der Wähler, das unbekannte Wesen, inhaltlich von seinen Vertretern im Parlament?

Nach einer Umfrage der SPD im vergangenen Herbst wollen 52 Prozent der Schleswig-Holsteiner die gemeinsame Schule. Also ging die SPD mit diesem Thema offensiv in den Wahlkampf und stellte sich an die Seite der Grünen, die für ihr Modell „Neun macht klug“ warben. Nach einem Erfolg im Norden, so die grünen Träume, hätte die Partei auch bundesweit mit diesem Thema punkten können.

Aber das kippelige Ergebnis des 20. Februar liefert offenbar keine feste Basis für große Würfe: Die Einführung der gemeinsamen Schule, die alle drei Parteien eigentlich wollen, gehört zu den Knackpunkten der jetzigen Tolerierungsgespräche.

Bis zum August, so hatte der SSW vorab gefordert, solle ein klares Konzept vorliegen, 2006 sollte es losgehen mit der Schule für alle. Jetzt dagegen zitiert der SPD-Landesvorsitzende Claus Möller die „Eisenbahnbau- und -betriebsordnung“: „Raschheit ohne Überstürzung.“ Soll heißen: Es wird dauern.

Dass die SPD den Schulumbau nicht sofort anpacken wollte, war schon länger klar: Viele Spitzen-Genossen verlassen sich auf den demografischen Wandel, der in absehbarer Zeit ohnehin dazu zwingt, Schulen zusammenzuschließen. Mit Hübscher formuliert heißt das, die politischen Vordenker wollten alle Beteiligten „mitnehmen auf dem Weg zur gemeinsamen Schule“.

Im Prinzip ist es sogar sinnvoll, nichts zu überstürzen: Eine neue Art der Schule erfordert völlig neue Unterrichtsformen und anders ausgebildete Lehrer. Das braucht seine Zeit, und es braucht auch Geld, das im Haushalt freigeschaufelt werden muss. Allerdings: Ein fröhliches „Warten wir mal ab“ statt eines Aufbruchs mit Pauken und Trompeten ist kaum das Signal, mit dem eine wirkliche Bildungsoffensive starten kann.

Noch gefährlicher ist aber ein Ansatz, der möglicherweise auch hinter den verschlossenen Türen der Koalitionsgespräche beraten wurde: Laut einem nicht bestätigten Bericht der Bild-Zeitung soll es neben den gemeinsamen Schulen weiterhin Gymnasien geben. Die SPD habe das gefordert und sich durchgesetzt, hieß es. Wäre dem so, könnte auch alles beim Alten bleiben: Denn wenn Eltern die Wahl haben zwischen „Schule für alle“ und Gymnasium, bliebe es ein gegliedertes System mit allen bekannten Schwächen. Kinder würden weiterhin sortiert und zugewiesen werden mit dem Ergebnis, dass die neue „gemeinsame Schule“ aussieht wie die heutige Gesamtschule, die kaum jemand für ein Idealmodell hält.

Ach ja, der Wähler: Er hätte den Kieler Volksvertretern eben klarer sagen sollen, was er eigentlich will. Am Freitag wollen SPD, Grüne und SSW ihre Koalitions- und Tolerierungsgespräche abschließen.