piwik no script img

Archiv-Artikel

Schule verhängt plakative Strafe

Neuköllner Schule beschließt Konsequenzen für Schüler, die mutmaßlichen Ehrenmord billigten. Zwei sollen öffentlich nachdenken, einem droht der Rausschmiss. Der ist bei Experten heftig umstritten

von SABINE AM ORDEund ULRICH SCHULTE

Einem der drei Schüler der Neuköllner Thomas-Morus-Schule, die im Unterricht Ehrenmorde gebilligt hatten, droht jetzt ein Schulverweis. Der Schüler habe sich in einer Konferenz mit allen seinen Lehrern „nicht einsichtig“ gezeigt, sagte Schulleiter Volker Steffens der taz.

Endgültig ist der Rausschmiss aber noch nicht. Vorher muss die Schulkonferenz gehört und die bezirkliche Schulaufsicht beteiligt werden. Der zweite Schüler bekommt einen schriftlichen Verweis. Er muss seine Meinung in der Schule klarstellen, weil er in der Konferenz seine Zustimmung zu Ehrenmorden bestritt.

Der dritte Schüler muss in seiner Klasse ein Referat halten, in dem er über persönliche Begegnungen mit Opfern familiärer Gewalt berichtet. Dazu solle er zuvor ein Frauenhaus besuchen, sagte Schulleiter Steffens. Dies ist eigentlich nur denkbar, wenn es sich bei dem Schüler um ein Mädchen handelt. Bestätigen wollte der Schulleiter das nicht.

Die drei Schüler hatten im Deutschunterricht den Mord an Hatun Sürücü gutgeheißen – und damit eine aufgeregte Debatte entfacht (die taz berichtete). Die Ermittler gehen von einem Ehrenmord aus. Die Schüler zeigten Verständnis für die mutmaßlichen Täter, ihre Brüder: Hatun Sürücü habe wie eine Deutsche gelebt. Auch Begriffe wie „Hure“ und „Schlampe“ sollen gefallen sein. Das bestätigte der Deutschlehrer der taz. Er hatte die Klasse anhand eines Zeitungsberichts zur Debatte aufgefordert. Die drei Schüler waren bereits zuvor aufgefallen, weil sie muslimische Mädchen, die kein Kopftuch tragen, bedroht hatten.

Die Reaktionen auf die Strafen reichen von einer klaren Zustimmung zum Schulverweis bis zu harscher Kritik – wobei alle ausdrücklich betonen, zu wenig Einzelheiten des Falles zu kennen. „Wir wissen, dass Schüler menschenverachtende Äußerungen machen“, sagte Sanem Kleff, Leiterin des Projekts Schule ohne Rassismus. „Aber Schule darf nicht mit Rausschmiss reagieren. Das ist eine Kapitulation.“ Kleff meint, dass ein Schulverweis generell weder für den Jugendlichen noch für die Schule pädagogisch sinnvoll ist.

Thomas Isensee von der Bildungsgewerkschaft GEW zweifelt am Sinn von Schulverweisen. Besonders problematisch sei die Entscheidung, wenn man die Schüler zur Diskussion aufgefordert habe. „Wenn man sie um ihre Meinung gebeten hat, kann man sie hinterher nicht dafür bestrafen“, so Isensee.

Der Erziehungswissenschaftler Dieter Lenzen, Präsident der Freien Universität, findet einen Schulverweis durchaus sinnvoll – für den Jugendlichen und für die Schule. Der Schüler bekäme eine neue Chance, an der Schule würde eine klare Grenze gesetzt.

Die Schulverwaltung vertraut bei der Diskussion auf die Kompetenz der Oberschule – und hält sich mit Sanktionsvorschlägen wie -bewertungen zurück. „Schulleiter Steffens kennt Vorgeschichte und Einzelfälle am besten. Er wird die richtigen Instrumente anwenden“, sagte Sprecherin Rita Hermanns.

„Die Schule muss öffentlich Stellung beziehen“, sagt SPD-Bildungsfachfrau Felicitas Tesch, ein Patentrezept habe keiner. Den angedrohten Rausschmiss verfolgt sie mit „ambivalenten Gefühlen“, hält aber die öffentliche Diskussion per Referat für sinnvoll: „Weiter nachdenken, weiter diskutieren ist Pflicht. Die Schule darf das nicht unter der Decke halten.“ Auch Mieke Senftleben, Bildungsexpertin der FDP, lobt den Schulleiter. Die Maßnahmen seien lang überlegt – die Schulstunde ist drei Wochen her –, differenziert und offensichtlich klug. „Der Schulverweis ist als drastischste Maßnahme eines Direktors legitim – wenn das Gefühl vorherrscht, die eine Schule kann dem Betroffenen nicht mehr helfen“, sagt Senftleben. Der Hauptschüler werde dann mit anderen Pädagogen, anderen Konzepten konfrontiert. „Wenn der Jugendliche aus seiner Clique genommen wird, bringt ihn das vielleicht zum Nachdenken.“ Auch dass ein Schüler seine Meinung schulöffentlich klarstellen soll, findet Senftlebens Beifall: „Das zwingt zum Nachdenken.“

reportage SEITE 23