Nazis dürfen durchs Tor laufen

Demonstrationsverbote soll es nur an „historisch herausragenden“ Gedenkstätten geben. Darauf einigten sich SPD und Grüne, die FDP will gegen das Gesetz stimmen

BERLIN taz ■ Die von SPD und Grünen geplante Verschärfung des Versammlungs- und Strafrechts ist jetzt unter Dach und Fach. Nach einer Expertenanhörung am Montag einigten sich die beiden Fraktionen auf erneute Änderungen ihres Entwurfs. Heute wird das Gesetz im Innenausschuss beraten und am Freitag im Bundestag beschlossen. Kernpunkt des Gesetzentwurfs ist der bessere Schutz von Gedenkstätten für Opfer des Nationalsozialismus. Dort sollen Demonstrationen verboten werden können, die die „Würde der Opfer beeinträchtigen“.

Nach zähem Widerstand sind die Grünen jetzt damit einverstanden, dass der Bund nur einen Ort als besonders schützenswert festlegt: das Holocaust-Mahnmal in Berlin. Alle anderen schützenswerten Gedenkstätten können die Länder definieren. Auf Druck der Grünen wird von den Ländern aber die Festlegung „durch Landesgesetz“ verlangt, eine leicht zu ändernde Regierungsverordnung soll nicht ausreichen. Außerdem sollen die geschützten Gedenkstätten nicht nur „überregionale Bedeutung“ haben, sondern auch noch „historisch herausragend“ sein. Gedacht ist zum Beispiel an ehemalige Konzentrationslager. So wollen die Grünen inflationäre Demonstrationsverbote vermeiden.

Am längsten wurde über die Neugestaltung des Volksverhetzungs-Paragrafen 130 im Strafgesetzbuch diskutiert. Hier soll ein neuer Absatz 4 angefügt werden: „Mit Freiheitsstrafe bis zu 3 Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer öffentlich oder in einer Versammlung den öffentlichen Frieden in einer die Würde der Opfer verletzenden Weise dadurch stört, dass er die nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft billigt, verherrlicht oder rechtfertigt.“

Damit stellt die neue Strafvorschrift nun doch auf eine Verletzung der Würde der NS-Opfer ab. Der Landrat von Wunsiedel, Peter Seißler, hatte bei der Anhörung am Montag gebeten, hierauf zu verzichten.

Er befürchtet, dass der jährliche Rudolf-Hess-Gedenkmarsch in seiner Stadt von Gerichten nicht als ein expliziter Angriff auf die NS-Opfer angesehen wird und deshalb auch künftig nicht verboten werden kann. Allerdings hatten mehrere Sachverständige gewarnt, ohne den Bezug auf die Menschenwürde sei die Strafvorschrift verfassungswidrig.

Erfolg hatten die Proteste von Grünen, FDP und CDU gegen die von Justizministerin Zypries geplante zusätzliche Verschärfung der Volksverhetzung. Sie wollte, dass nicht nur die Leugnung des Holocausts bestraft wird, sondern auch die anderer Völkermorde. Diese Bestimmung entfällt zunächst ersatzlos.

Am gestrigen Abend wollten die Regierungsfraktionen noch mit der CDU/CSU verhandeln, ob auch sie am Freitag dem Gesetzentwurf zustimmt. Auf die Wünsche der Union, das Brandenburger Tor explizit zu schützen, gingen die Regierungsfraktionen allerdings nicht ein. Die SPD wäre zwar kompromissbereit gewesen, die Grünen waren aber nicht zu weiteren Einschränkungen der Versammlungsfreiheit bereit. Die FDP will am Freitag auf jeden Fall gegen das Gesetz stimmen. Der Abgeordnete Max Stadler hält die Verschärfungen für „überflüssig“.

Dieter Wiefelspütz, der innenpolitische Sprecher der SPD, sagte gestern, er sei sicher, dass der geplante NPD-Aufmarsch am 8. Mai verhindert werden könne. Tatsächlich ist das Gesetz aber allenfalls geeignet, die Route zu ändern. Der geplante Vorbeimarsch der Rechtsextremen am Holocaust-Mahnmal kann jetzt wohl verboten werden, nicht aber die Durchquerung des Brandenburger Tors.

CHRISTIAN RATH