: Masken der Emanzipation
GESCHLECHTERFORSCHUNG Vom Bubikopf bis zum It-Girl – ein schönes Symposium widmete sich weiblichen Kinoentwürfen
VON SONJA VOGEL
Auf der Leinwand sind „It-bags“ des Modehauses Fendi zu sehen, Accessoires heutiger It-Girls wie Paris Hilton. Schnitt. Der Film „It“ von 1927 wird gezeigt, Clara Bow spielt die Verkäuferin Betty Lou, die sich, um sich ihren Chef zu angeln, zur Schere greift. Rabiat schneidet sie den Kragen aus ihrem Verkäuferinnenkostüm und kürzt es bis auf Kniehöhe. Das Haar trägt sie als Bubikopf. Es sind die exzentrische Lust, die rücksichtslose Ichbezogenheit und der Verstoß gegen die gesellschaftlichen Regeln, die das „It-Girl“ ausmachen und es oft ins selbst gewählte Unglück stürzt.
„City Girls. Dämonen, Vamps und Bubiköpfe in den 20er-Jahren“ hieß das Symposium, das jetzt am Wochenende im Kino Babylon und dem ICI Berlin stattfand. Ein Dutzend Vorträge und sechs Filmvorführungen anlässlich des 65. Geburtstags von Inge Stephan und Christina von Braun. Beide sind Koryphäen der Wissenschaft und der Geschlechterforschung. Stephan ist Professorin der Literaturwissenschaften, Autorin und Feministin, von Braun Filmemacherin, Autorin, Professorin für Kulturtheorie und vieles mehr.
Nach Annegret Pelz ist es die „durchgeschnittene Linie“, die die Zwanzigerjahre zu einer Zeit des Umbruchs macht. Die Anonymität der Großstadt ermöglichte den Aufstieg eines neuen Frauentyps, der Familie und traditioneller Geschlechterordnung den Rücken kehrte. Die City Girls, Vamps, Flapper oder androgynen Garçons sind knabenhaft, schlaksig, sie springen, rennen und zappeln, rauchen, trinken und nehmen sich reiche Männer. Ihre Röcke und Haare sind kurz, die Absätze niedrig und, wenn nötig, werden die Brüste heruntergebunden – denn Brust hört sich „gemein“ (Irmgard Keun) an, nach Mütterlichkeit und „Opera“.
Die Sprung vom bis dato vorherrschenden Frauenideal zum androgynen City Girl könnte größer nicht sein. Dass es sich trotzdem in der Gestalt der Flapper-Schauspielerinnen Colleen Moore und Clara Bow durchsetzen konnte, ist nur auf den ersten Blick überraschend. Der deutsche Titel des Films „Flaming Youth“, der Moore bekannt machte – „Angst vor der Ehe“ lautete er –, zeigt die Richtung an. Die Flapper-Inszenierungen changieren zwischen Domestizierung und Überschreitung, Sexappeal und Androgynität. Letztendlich landen die City Girls aber doch in der Ehe.
Etwa im schwedischen Stummfilm „Weibliche Junggesellen“ (1923). Einerseits bietet er mit dem Jungesellinnenleben einen Entwurf von Weiblichkeit jenseits der Definition über den Mann. Andererseits wurde die feministische Romanvorlage über die gegen Hungerlohn und sexuelle Belästigung aufbegehrenden Frauen umgemünzt. Dies als Happy End oder vor dem Hintergrund einer maskeradenhaften Inszenierung der Geldheirat als Queer-Farce zu verstehen bleibt den Zuschauern überlassen.
„Die Austernprinzessin“ von Ernst Lubitsch war der bekannteste Film im Pogramm. Die Millionärstochter Ossi soll verheiratet werden. In seinen gnadenlosen Überzeichnungen wird der Film zum Spektakel. Und das Spektakel zum Raum für anarchische Ausführung von Frauenfiguren jenseits gesellschaftlicher Konventionen. Mit ihren hyperemanzipativen Gebärden verweigert sich Ossi der Weiblichkeit, sie blickt und begehrt und entzieht sich so zumindest teilweise dem Blick der männlichen Zuschauer. Wie die It-Girls nimmt sie sich den Mann, den sie will (erkämpft in einem Boxmatch). Mit der Ehe endet aber auch dieser Film.
Auftakt des Vortragsteils war von Brauns Film „Vom Sinn des Sehens. Augen-Blicke der Geschlechter“. Hierin wird die Kulturgeschichte des Sehens beschrieben als vergeschlechtlichte Blickpolitik von den tödlichen Blicken der Medusa über das in der Moderne zum domestizierten Objekt Frau bis zum Film, der Geschlecht im Grunde bedeutungslos werden lässt. Es ist jene Dechiffrierung und Historisierung von Machtmitteln, die die Arbeit beider Professorinnen auszeichnet. Mittlerweile hat diese kritische Wissenschaft viele Fans gefunden. Dies zeigt nicht zuletzt die Zahl der Interessierten, über 200 waren gekommen.
Einen rührenden Abschluss bildete die von Studierenden gedrehte Hommage. Darin plaudern Kolleginnen und Kollegen, etwa Julius Schoeps („Wer ist von Braun? Das kommt darauf an, aus welcher Perspektive man es betrachtet“), Mitarbeiterinnen und Studenten. Obwohl manche Sequenzen urkomisch sind, wird deutlich, gegen welche Widerstände sich beide hatten durchsetzen müssen – und nimmt man die Büßergeste des Präsidenten der HU, Christoph Markschies („Ich glaube nicht, dass Sie mit Ihrem Präsidenten zufrieden sind“) ernst, ist der Kampf noch lange nicht ausgestanden. Nicht zuletzt setzten die beiden den Berliner Magisterstudiengang Gender Studies durch, der noch immer einmalig ist. Dass das Engagement Früchte trägt, zeigte sich auf diesem Symposium, auf dem fast alle Generationen – doch nur sehr wenige Männer – gemeinsam diskutierten.