: Friede den Urhütten!
DYSTOPISCH WOHNEN Eine große Ausstellung in Wien möchte die Versprechen der Moderne aus ihren Trümmern wiedergewinnen
VON UWE MATTHEISS
„Gesunde Wohnungen – glückliche Menschen“: Bis ans Ende der 70er-Jahre erhielt in Wien jedes öffentliche Wohnbauprojekt eine solche weithin sichtbare Gedenktafel. Irgendwann in den 80ern überwucherte das Ornament auch den sozialen Wohnungsbau, und die Anrufungen des einst unerschütterlichen Glaubens an die Verbesserung der Welt und des menschlichen Lebens durch Baukunst wurden leiser. An den Plattenbauten, die hier nie so heißen durften, nagt der Zahn der Zeit. Zwischen vielen aus Altstadterhaltungsmitteln steril herausgeputzten Gründerzeitfassaden gehören sie zu den wenigen Elementen im Stadtbild, in denen Geschichte als Spur im Material erfahrbar ist. Die Implosion der Moderne, die in Wien einst mitformuliert wurde, fand hier so gebremst statt wie zuvor ihre praktische Ausbreitung.
Die Ausstellung „Die Moderne als Ruine“ verhandelt die Brüche und Widersprüche der Moderne mit Bildern und Exponaten von Orten, an denen diese mit größerer Vehemenz und Zerstörungskraft in Erscheinung traten. Die Schau führt zunächst zurück in die beginnenden 70er, in denen die (amerikanischen) Großstädte Schauplatz einer neuen Erzählung wurden, die von Zufall handelte, von drohendem Untergang, einer Zukunft, in der jeder gegen jeden focht. Zugleich boten die vorgeblich unbewohnbaren Städte den Formen- und Erfahrungsreichtum für eine virulente Kunstproduktion, die sich vom Strandgut der zerstreuten Moderne nährte. Die Kuratorin Sabine Folie stellt zwei Künstler, Robert Smithson und Gordon Matta-Clark, ins Zentrum der Schau, die sich nicht mit dystopischem Schick zufriedengaben, sondern im Trümmerfeld der Moderne nach deren guten Gründen suchten, und verfolgt die Spuren der früh Verstorbenen bis in die gegenwärtige Produktion. Smithson und Matta-Clark befreien die Kunst von verbliebenem metaphysischen Ballast, der alle Transformationen der Moderne zuletzt doch überdauert hatte: die Vorstellung, dass Kunst sich an ein Gedächtnis der Menschheit richtet, dessen Ende in der Welt nicht gedacht werden kann. Gegen diese Vorstellung arbeitet Smithson dem Verschwinden der Kunst schon bei ihrer Entstehung zu. Er rechnet mit dem Verfall jeder Form in der Zeit, ihrem Aufgehen in der Entropie: Eine von Erde erdrückte Holzhütte („Partially Buried Woodshed“, 1970), ein mexikanisches Provinzhotel, das offenbar vor Fertigstellung aufgegeben wurde, Smithson liest es wie eine antike Ausgrabung („Hotel Palenque“, 1969–72). Im Niemandsland zwischen Natur und Kultur erscheint zwischen den Kategorien des Schönen und des Erhabenen ein Drittes jenseits einer anthropozentrischen Betrachtungsweise, existieren Formen, ohne erdacht zu sein, und auch ohne darauf warten, erkannt zu werden. In aktuellen Arbeiten, etwa Florian Pumhösls „Programm“ (2006) oder Cyprien Gaillards „Geographical Analogies“ (2006–09), stehen dann Film und Polaroid, durch den Alterungsprozess ihrer Materialien, für das Zeichen alles Vergänglichen.
Gordon Matta-Clark schnitt aus bestehenden Gebäuden Formen heraus, die neue Blicke öffneten und Funktionen infrage stellten. Bei „Window Blow-Out“ (1976) zerschoss er die Fenster der heiligen Hallen des zeitgenössischen Architekturdiskurses, des New Yorker Institute for Architecture and Urban Studies. Sein gewaltförmiger Verweis galt der obsoleten Selbstbehauptung der Moderne als autonomer ästhetischer Praxis – hat doch schon die damalige zeitgenössische Architektur gegenüber den Renditevorgaben der Immobilienentwickler jede gesellschaftliche Wirkungsmacht verloren. Die Chance, dass mit dem Eingriff ein frischer Wind sie durchlüfte, vergibt die Institution, die Weltverbesserer von gestern balgen sich darum, die Brand Architecture von morgen zu bauen.
Vor dem Eindruck, dass die Grenzen des Wachstums die Entwicklungsmöglichkeiten der Gattung Mensch gänzlich zu ersticken drohen, entwickelte der Architekt Yona Friedman 1959 flexible Raumstrukturen aus einfachen Materialien, die sich über bestehende Stadtstrukturen ausbreiten können, und entwarf dezentrale Verteilungsstrukturen knapper Güter jenseits des Tauschprinzips. Rob Voermans „Tarnung #3“ (2009) ist ein postapokalyptisches Monument aus Altholz, Pappe und buntem Glas: Urhütte, Einmannkathedrale und die Frage nach dem Minimum menschlicher Existenz zugleich. Bewahre, dass Sozialkürzer wie Herr Sarrazin & Co. die Arbeit besuchen, sonst entsteht noch eine Debatte zu schöner Wohnen mit Hartz IV.
■ Bis 20. September, Generali Foundation Wien, Katalog 42 €