: „Das Zeitfenster schließt sich“
FINANZKRISE SPD-Finanzexperte Ortwin Runde hält wenig vom bankenfreundlichen Bad-Bank-Gesetz der Koalition und geißelt die Meinungshoheit der Angebotstheoretiker
■ Der 65-jährige Volkswirt sitzt für die SPD im Finanzausschuss des Bundestages. Der ehemalige Hamburger Bürgermeister beendet im Herbst seine politische Karriere.
INTERVIEW TARIK AHMIA UND STEPHAN KOSCH
taz: Herr Runde, mit dem gerade verabschiedeten Bad-Bank-Gesetz dürfen Banken Schrottpapiere auslagern, für deren Verluste schlimmstenfalls der Steuerzahler geradestehen muss. Ist das eine gute Lösung?
Ortwin Runde: Ich finde es problematisch, die schlechten von den guten Teilen mithilfe von Zweckgesellschaften zu trennen. Sie haben doch zu den Krisen geführt, mit denen wir gegenwärtig zu tun haben.
Wieso ist die Koalition bei der Sanierung des Bankensektors so zaghaft?
Um die Instrumente für die Stabilisierung des Finanzsystems wird zwischen Union und SPD politisch hart gekämpft. Die Finanzpolitiker in der SPD sind sich einig, dass Banken nicht nur freiwillig über die Annahme staatlicher Hilfe entscheiden sollten, sondern unter bestimmten Umständen dazu verpflichtet werden, um die Stabilität des Gesamtsystems zu sichern. Wir finden es auch problematisch, Banken mit Steuergeldern zu rekapitalisieren, ohne den Staat dafür angemessen zu beteiligen. Für CDU und FDP sind das Tabuthemen. Sie scheuen Eingriffe in Eigentumsrechte wie der Teufel das Weihwasser, selbst wenn es Steuergelder kostet.
Wieso haben die Marktradikalen so viel Einfluss, nachdem ihre Wirtschaftsrezepte die Krise verursacht haben?
In Deutschland gibt es noch immer eine Meinungshoheit dieser Angebotstheoretiker. Das wurde etwa bei der Auseinandersetzung um die Rettung der Hypo Real Estate deutlich. Ihre Verstaatlichung wurde zu einer Frage von Leben und Tod der Marktwirtschaft aufgebauscht. Dabei könnte die zweitweise Teil- oder Gesamtverstaatlichung von Banken ein wichtiges Instrument sein, um ihre Kredittürme zurückzubauen. Für die Marktradikalen sind staatliche Regulierungen und Konjunkturprogramme aber Teufelszeug. Sie praktizieren bestenfalls einen nachgeplapperten Keynesianismus.
Warum werden die Finanzmärkte auch weltweit nur schleppend stärker reguliert?
Es hat sich gezeigt, dass eine neue Finanzarchitektur von den Interessen einzelner Akteure massiv behindert wird. Die Mechanismen und die Interessengruppen, die uns in dieses Elend gestürzt haben, sind nach wie vor intakt. Die angloamerikanischen Länder versuchen weiter den Weg zu gehen, der von den Interessen des Finanzkapitals geprägt ist. US-Finanzminister Geithner hat die Großbanken, die mit Steuergeldern am Leben erhalten wurden, schon wieder auf die freie Wildbahn des Raubtierkapitalismus entlassen – ohne die Allgemeinheit vor ihnen zu schützen.
Die Finanzmärkte können weitermachen wie vor der Krise?
Nein, Banken und Banker müssen ihre unverantwortlichen Verhaltensmuster ändern. Dafür bleibt es entscheidend, dass die Finanzmärkte umfassend und weltweit reguliert werden. Das muss für alle Finanzinstitutionen und in allen Regionen gelten. Steueroasen müssen verschwinden, und Verstöße gegen die Regeln müssen bestraft werden. Leider ist Europa nicht stark und einig genug, um hier das Tempo zu bestimmen. Und das Zeitfenster, in dem wir, unter der heilenden Wirkung des Schocks, wirklich etwas ändern können, schließt sich langsam wieder.
Ist die Reform des Bankensystems wenigstens in Deutschland auf dem richtigen Weg?
Nicht wirklich. Anstatt das Bankensystem zu reformieren, geschieht bei uns gerade der „Daimler-Chrysler-Effekt“: Die Deutsche Bank und die Postbank werden zu einem großen Player. Die Commerzbank soll mit der Dresdner Bank fusionieren, obwohl die Allianz daran bereits gescheitert ist. Es werden Banken konstruiert, die zu groß sind, um scheitern zu dürfen. Das Risiko wird für den Staat noch größer.
Wie sieht Ihr zukünftiges Modell für die Banken aus?
Wir brauchen ein neues Verhältnis von Markt und Staat, in dem der Staat wieder Anerkennung erfährt. Im Sinne von Martin Walser wünsche ich mir in Zukunft in der Finanzwirtschaft deshalb mehr Leute mit der soliden Mentalität eines Bankbeamten und weniger mit der eines Bankers. In den Chefetagen brauchen wir Menschen, die demokratisch legitimiert sowie mit den Kommunen und den Ländern rückgekoppelt sind. Aber außer der Brandbekämpfung wissen wir bis heute nicht, welche Struktur der Landesbanken wir in Zukunft haben wollen.