: Bambi und der Stadtjäger
TIERLEBEN In Bremen haben sich Rehe unerlaubt auf ein Wassergewinnungsgelände verlaufen. Der Stadtjägermeister krümmte schon den Finger am Abzug. Doch ob ein Abschuss rechtens wäre, ist fraglich
Tierfäkalien und -kadaver, die in der Nähe von Grundwasser-Brunnen liegen, können nach Einschätzung des Instituts für Wasserressourcen und -versorgung an der TU Hamburg-Harburg die Gesundheit gefährden.
■ Das daraus gewonnene Trinkwasser werde zwar aufbereitet und filtriert – aber nicht wie das Wasser aus Seen oder Flüssen zusätzlich desinfiziert, erklärt Institutsleiter Knut Wichmann.
■ Verantwortlich für die Wasserqualität sind bis zum Hausanschluss die Wasserversorger – danach die Hauseigentümer.
VON TERESA HAVLICEK
Eine Reh-Familie sorgt beim Bremer Energieversorger SWB derzeit für Aufruhr. Die Tiere waren unbemerkt durch ein Loch im Zaun in ein Wassergewinnungsgebiet in Bremen-Vegesack eingedrungen. Der Zaun wurde routinemäßig geflickt – was den Rehen Gelegenheit gab, sich dahinter auf mittlerweile ein Dutzend Tiere zu vermehren. Die SWB wollte daraufhin den Stadtjägermeister einschalten. Bei einer Ortsbegehung am Montag kam man jedoch wieder davon ab – obwohl das Bremer Stadtamt die entsprechende Genehmigung bereits vorsorglich erteilt hatte.
In vier Wochen beginne die Brunftzeit, bis dahin sei es wichtig, „die Vermehrung zu stoppen“, erklärt SWB-Sprecher Christoph Brinkmann. Über eine Lösung beraten nun der Tierschutzverein und der Stadtjägermeister. Die Frage sei, ob alle Tiere oder nur die Rehböcke betäubt, gefangen und dann ausgewildert werden – oder die Abschussgenehmigung doch noch genutzt wird. Schließlich sei die Familie bereits auf einen „stattlichen Bestand“ gewachsen, so Brinkmann.
Wie die SWB überhaupt zu ihrer Schießgenehmigung kommen konnte, ist weitgehend unklar. Man sei davon ausgegangen, die Vegesacker Anlage sei ein Trinkwasserschutzgebiet, sagt Brinkmann. Tierhaltung sei auf solchen Gebieten nicht erlaubt, weshalb die SWB beim Stadtamt beantragt habe, die Rehe vom Stadtjägermeister abschießen zu lassen. Ob die Wildtiere auf der Anlage überhaupt als Tierhaltung zählten, sei zwar Auslegungssache. „Aber wenn sie auf die Straße gelangen, werden wir ja auch dafür verantwortlich gemacht.“
Dass die Mitarbeiter beim Stadtamt der SWB-Argumentation folgten, geschah allerdings „ohne mein Wissen“, sagt Amtsleiter Hans-Jörg Wilkens. Eigentlich sei die Anlage mit zwei Grundwasserbrunnen gar nicht als Wasserschutzgebiet anerkannt. Eine Tatsache, die den SWB-Sprecher Brinkmann bei der Ortsbegehung am Montag überrascht hat. „Wir sind immer davon ausgegangen, dass das so ist.“
Auch für die Umweltbehörde ist unklar, auf welche Bestimmungen sich die SWB für den Abschuss beruft. „Es gibt keine Verordnung zur Tierhaltung in Wassergewinnungsgebieten“, sagt Sprecher Michael Ortmanns. „Marginal“ sei die Zahl von zwölf Rehen auf einem Areal dieser Größe. Inwiefern die Tiere das Wasser tatsächlich gefährden können, wird die Behörde in den kommenden Wochen prüfen. Gründe, die Tiere zu schießen, sehe er nicht.
In Vegesack selbst kämpft vor allem die CDU für die Tiere. Die Partei kündigte an, eine „Lobby“ gegen den Vollzug der Abschussgenehmigung aufzubauen. Mit Erfolg: Nicht nur „Rette die Rehe“-Schilder schmücken mittlerweile den Zaun der SWB-Anlage, auch die Nachbarschaft ist mobilisiert. Es gebe mehrere Angebote, die Rehe mit Pferdeanhängern in die Umgebung zu transportieren und dort auszuwildern, sagt der Vegesacker CDU-Sprecher Cord Degenhard. „In einer Stunde hätten wir zehn Tiere weggebracht.“
Das Vorgehen der SWB hält Degenhard für „unangemessen und überzogen“. Und auch das Stadtamt muss Kritik aus Vegesack einstecken. „Wir wären glücklicher, es hätte die Schießgenehmigung nach der Ortsbegehung zurückgezogen“, sagt Degenhard. Die sei nur vorübergehend ausgesetzt – bis zur Brunftzeit in vier Wochen.