: Die Popo-Polizei
KLUG PROGRAMMIERT Das Festival „Il cinema ritrovato“ in Bologna vermittelt Filmgeschichte und politisch-historische Zusammenhänge
„Il cinema ritrovato“ – „Das wiedergefundene Kino“ – hat als reines Stummfilmfestival begonnen. Heute wird man in Bologna den gegenwärtigen Problematiken des Filmerbes gerecht: wiedergefunden und restauriert werden Kopien auch von jüngeren Filmen, die verschollen waren. Letztes Jahr stellte der Sohn des senegalesischen Regisseurs Djibril Diop Mambety eine neu restaurierte Kopie des legendären Films „Touki Bouki“ (1973) vor. Bologna steht außerdem für Vorführungen auf der großen Piazza. Für das Kino wie für die Stadt ist es ein großer Augenblick, wenn 5.000 Menschen einschließlich der verschiedenen migrantischen communities sich „Senso“ von Luchino Visconti in einer strahlenden Farbrekonstruktion ansehen oder mit dem antifaschistischen „Anni difficili“ (Schwierige Jahre, 1948) von Luigi Zampa mitgehen.
In „Cento anni fa“ (Vor hundert Jahren), einer seit 2003 stattfindenden prominenten Reihe, ist auf überzeugende Weise mitzuerleben, was das ganz frühe Kino ausmachte: Es war noch nicht an einen festen Ort gebunden, fand mal auf dem Jahrmarkt und mal im Kino statt, war dementsprechend offen und begünstigte einen sehr aktiven Blick. Zu sehen gab es eine Fülle verschiedener Farbverfahren und in Berlin produzierte Tonbilder: So wurde zum großen Vergnügen der deutschsprachigen Festivalgäste eine Obrigkeits-unaffine Schutzmann-Gesangs-und-Tanznummer, rekonstruiert von einem Tonbildsammler, gezeigt: „die Po-po-po-Polizei …“
1909 ist ein Jahr der Umbrüche: Die Filme werden länger, Stars werden gemacht, die frühesten newsreels und Sportberichterstattungen finden großen Anklang, und beim weltweit ersten Filmfestival in Mailand beginnt sich das Kino selbst zu feiern. Der ökonomische Druck wird stärker. Edison versucht seinen Trust durchzusetzen, Pathé behauptet durch die Umstellung vom Verkauf auf den Verleih der Filme seine Position.
Was fasziniert an „Il cinema ritrovato“, ist die kluge Programmierung: Cinephilie ist historisch und politisch vermittelt. Letztes Jahr gab es zum Beispiel eine Sonderreihe zum japanischen Kino nach der Atombombe, diesmal überzeugten mehrere Programme zu den „Vichy-Filmen“. Zwischen 1940 und 1944 wurden 220 Filme im besetzten Frankreich produziert, eine vollkommen kontrollierte Produktion, die dazu beitragen sollte, die von Marshall Petain verkündete „neue Ordnung“ zu proklamieren. Eric Le Roy vom Centre Nationale de la Cinématographie in Paris (CNC) stellte eine Reihe mit Filmen vor, die direkt unter deutscher Okkupation gedreht wurden, sowie Filme aus der „freien“ Zone unter der Kontrolle des Vichy-Regimes und einige wenige Filme der Résistance. Ein Film über Marschall Petain beginnt mit den kolonialen Errungenschaften der französischen Armee in Marokko, wo mit der Unterstützung von General Franco die Rif-Kriege „befriedet“ wurden. In seinem Haus in Antibes unterhält sich Petain mit seinem Biografen und strotzt vor paternalistischer Bescheidenheit.
„Le Jardin sans Fleur“ (Der Garten ohne Blumen, 1942) zeigt ein Frankreich, das von seinen südlichen, nördlichen und westlichen Nachbarn in der Geburtenrate übertrumpft wird. Mit an den deutschen Nazi-Trickfilmer Svend Noldan erinnernden Grafiken wird die Möglichkeit einer von Kinderwiegen übersäten Landkarte avisiert. „Travailleurs de France“ (Arbeiter Frankreichs, 1944) ist einer der vielen Anwerbefilme, die zeigen sollten, wie angenehm die Arbeit in Deutschland sei. Der Film beginnt mit der vermeintlich subjektiven Stimme eines Ich-Erzählers, der beschreibt, wie gut gerichtet alles war, als er zur Arbeit nach Deutschland kam: im „Land der schwarzen Baracken“ wurde er genau untersucht und geröntgt, erkennungsdienstlich behandelt und sein „Laisser-Passer“ mit einem Foto versehen. Deutschland wird als „gigantische Baustelle Europas“ bezeichnet. Der Film unterscheidet sich in seiner Schönfärberei nicht von anderen Anwerbefilmen aus der Nazizeit wie „Wir schaffen in Deutschland“ und „Wir fahren nach Deutschland“. Die Übergänge zwischen Arbeitsmigration und Zwangsarbeit waren fließend.
Der Film „Français souvenez-vous“ (Franzosen, erinnert euch) arbeitet mit Statistiken über die Reduzierung der Arbeitslosigkeit zwischen 1940 und 1944 „dank der brüderlichen Aufnahme französischer Arbeiter in Deutschland.“ In den französischen Kinos löste er so großes sarkastisches Gelächter aus, dass er schon bald wieder vom Spielplan genommen werden musste.
MADELEINE BERNSTORFF