: Digitales Mittelalter
betr.: „Software der Großen unter Schutz gestellt“, taz vom 8. 3. 05
Mit Erschütterung habe ich erfahren, dass der EU-Rat heute die Richtlinie über die Patentierbarkeit „computerimplementierter Erfindungen“ durchgeboxt hat – und das, nachdem sowohl die Parlamente mehrerer Mitgliedsstaaten als auch Vertreter des EU-Parlaments sich für einen Neubeginn dieses Gesetzgebungsverfahrens ausgesprochen hatten.
Mit dieser Entscheidung hat der Ministerrat gleichzeitig die Demokratie mit Füßen getreten und die Interessen der Menschen Europas an Microsoft, Siemens, IBM et al. verkauft. Wenn Computerprogramme patentierbar werden, kann Softwareentwicklung mittelfristig nur noch von Großkonzernen mit einem prallen „Patent-Portfolio“ und einer noch pralleren Rechtsabteilung betrieben werden. Mittelständler werden es sich kaum noch leisten können, eigene Software zu entwickeln, wenn für jedes selbst entwickelte Codefragment geprüft werden muss, ob es nicht ein Patent verletzt.
Vor nicht langer Zeit sahen wir vor uns eine „digitale Revolution“. In der Zukunft sollte alles Wissen allen zur Verfügung stehen und die Menschheit gewaltige Fortschritte machen. Jetzt haben wir vor uns ein digitales Mittelalter, in dem eine Priesterkaste von Juristen darüber entscheiden wird, welche Programme geschrieben werden dürfen und welche nicht. Diese wunderbare Zukunft verdanken wir in Europa einem offensichtlich von der Großindustrie gekauften Ministerrat und rückgratlosen Regierungen wie unserer eigenen. Von der Politik erwarte ich nach dem heutigen Tag nichts mehr.
WOLFGANG PREISS
Mit der heute erfolgten Verabschiedung der umstrittenen Richtlinie zu Softwarepatenten ohne neue Debatte im EU-Rat wird deutlich, dass die (EU-)Politiker nicht im Sinne ihrer Wähler handeln. Nach dem sich der Deutsche Bundestag gegen Softwarepatente entschieden hat, vergaß es Wirtschaftsminister Clement, die Entscheidung im EU-Rat von der Tagesordnung streichen zu lassen. Nun werden viele Arbeitsplätze in mittelständischen EDV-Unternehmen verschwinden oder erst gar nicht entstehen, da diese Unternehmen selten die personellen und finanziellen Kräfte haben, um mögliche patentrechtliche Belange zu prüfen und Rechtsstreitigkeiten zu vermeiden. Die (EU-)Politik richtet sich rein an den Interessen der größten Konzerne aus. TILMAN HENTZE
Schade, dass ihr Frau Weingärtner nicht ein bisschen mehr Raum für einen sachlichen und vollständigen Artikel gegeben habt. Nicht nur Linux-Fans sind von Softwarepatenten bei der Ausübung ihres Hobbys bedroht, sondern auch Mitarbeiter von unzähligen Unternehmen, deren Verwendung Freier Software weitgehend ignoriert wird – frei nach dem Motto: „Wer nicht zahlt, zählt nicht“.
Davon abgesehen scheint kaum jemand zu begreifen, dass Softwarepatente nicht nur Computerfirmen beeinträchtigen. Selbst die Herstellung von Tageszeitungen kann unmöglich werden: Zum einen, weil im Redaktionsbetrieb selbst umfangreich Freie Software verwendet wird, zum anderen aufgrund der Ähnlichkeit zwischen Software und z. B. Nachrichtentexten. Software ist nichts anderes als geschriebene Sprache und kann nüchtern wie ein Gesetz oder künstlerisch wie ein Gedicht geschrieben werden (googelt mal nach „Perl Poetry“). Angeblich schreiben Zeitungen grundsätzlich „Neuigkeiten“, die also allesamt patentiert werden könnten? Als einzige Grundbedingung wird vorgegeben, dass die patentfähige Software irgendwas mit „Technik“ und „Neuigkeit“ zu tun haben muss.
Der völlig undemokratische Weg der Software-Patentrichtlinie durch die EU-Gremien steht in keinem Verhältnis zum überwiegenden Desinteresse der deutschen Medien. Niemand hat darüber berichtet, dass im Jahr 2000 das europäische Patentamt EPA eigenmächtig begann, Software zu patentieren, sofern sie eine „Technizität“ aufwies – obwohl Softwarepatente bis heute in der EU gegen geltendes Recht verstoßen. Die vom EPA verfassten Patentierungsrichtlinien wurden anschließend vom Ministerrat inhaltlich praktisch unverändert übernommen und zu einer EU-Richtlinie umformuliert. Der Höhepunkt wurde gestern erreicht, als EU-Kommissar Charlie McGreevy versuchte, den Wettbewerbsrat vor der Abstimmung über die Richtlinie mit den Worten „Nothing that is not patentable now, will be made patentable by the directive“ zu beruhigen. Der Ministerrat hat also die aktuelle, aber gesetzwidrige Patentierungspraxis des EPA förmlich legitimiert. Von euch hätte ich eigentlich erwartet, dass ihr auf derart monopolbildende, undemokratisch zustande kommende Gesetze deutlich kritischer reagieren würdet.
Man sagt ja, Gedanken sind frei, aber in Zukunft werden zumindest wir Programmierer Angst haben müssen, unsere Gedanken mit anderen zu teilen. HARTMUT MÜLLER, Dortmund