: „Es ist Sache der Muslime, das Misstrauen zu zerstreuen“, sagt Johannes Kandel
Wer darf islamischen Religionsunterricht erteilen? Ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts eröffnet neue Optionen
taz: Die Leipziger Richter des Bundesverwaltungsgerichts hoben eine Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Münster auf, das dem Islamrat und dem Zentralrat der Muslime den Status von Religionsgemeinschaften abgesprochen hatte. Sind diese Dachverbände damit ihrem Ziel näher, vom Staat bezahlte Lehrer auszuwählen und Einfluss auf die Lehrinhalte zu nehmen?
Johannes Kandel: Keineswegs. Das Bundesverwaltungsgericht hat mit seinem Urteil diese Organisationen noch lange nicht als Religionsgemeinschaften anerkannt. Sie gaben den Fall an das Oberverwaltungsgericht zur Prüfung zurück. Doch das Urteil zeigt zumindest einen pragmatischen Korridor, wohin es gehen könnte. Es wurde ja nicht prinzipiell ausgeschlossen, dass eine Dachorganisation für die Religionspflege zuständig sein könnte.
Die islamischen Verbände fühlen sich aufgrund der besonderen Struktur des Islams und seiner Vielfalt benachteiligt. Wenn der Islam sich nicht so verfassen kann wie die katholische oder die evangelische Kirche, muss dann nicht ein pragmatischer Weg gefunden werden, um dieses Selbstverständnis zu akzeptieren?
Das stimmt. Aber jeder Anbieter von Religion sollte verfassungstreu sein. Und müsste sich eine Prüfung dazu gefallen lassen.
Wie könnte diese Prüfung aussehen?
Wenn jetzt der Islamrat oder der Zentralrat als Anbieter in Frage käme, dann würde eine Prüfung beim Islamrat beim jetzigen Stand der Erkenntnis zum Beispiel die Verbindungen der Islamischen Föderationen zu Milli Görüs kritisch prüfen müssen. Milli Görüs selbst ist ja auch Mitglied im Islamrat. Hier gibt es Grund zur Sorge und auch Misstrauen. Dann würde eine Diskussion über die Verfassungstreue der einzelnen Mitglieder beginnen müssen.
Ein zäher Prozess. Was halten Sie für den gangbarsten Weg?
Es gibt zwei Grundkonzepte. Entweder entschließen sich die Länder, religionskundlichen Unterricht wie Islamkunde anzubieten, oder sie halten am bekenntnisorientierten Unterricht auch für Muslime fest. Wenn sich Muslime auf Landesebene oder nur lokaler Ebene zusammenfinden würden zu einem religiösen Verein, der das Ziel hat, bekenntnisorientierten islamischen Religionsunterricht anzubieten, und sich dem Staat oder dem Kultusministerium als Ansprechpartner präsentiert, dann könnte der Staat ganz pragmatisch sagen: Wir erkennen diesen Verein als Anbieter von Religionsunterricht an und gehen mit ihm entsprechende Kooperationen ein. Das zu klärende verfassungsrechtliche Problem ist, dass dieser Verein nach der klassischen Definition keine Religionsgemeinschaft wäre, weil er keine „allseitige Religionspflege“ betriebe, sondern nur ein Zweckverband für die Erteilung von islamischem Religionsunterricht ist. Aber genau hier hat das Bundesverwaltungsgericht eine Auflockerung des strengen Prinzips der Allseitigkeit zumindest eröffnet, was dem Landesgesetzgeber mehr Handlungsspielraum gibt.
Schon in den Neunzigerjahren waren mehrere islamische Gruppierungen in Hessen an das Kultusministerium herangetreten und haben einen Verein gegründet, sich eine Satzung gegeben und Grundsätze formuliert. Die Initiative ist gescheitert. Warum?
Einmal aus Gründen der so genannten Repräsentativität, die unter anderem vonseiten der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religionen angezweifelt wurde. Das halte ich aber für ein schwaches Argument. Wichtiger waren Unklarheiten in den Grundsätzen, etwa im Blick auf die Trennung von Kirche und Staat und die Stellung der Frau.
Also Zweifel an der Verfassungstreue. Da ist beim derzeitigen Klima in jeder islamischen Gruppierung schnell etwas Suspektes finden?
Ja, das ist richtig. Nur: Es ist Sache der Muslime, dieses Misstrauen, das ihnen entgegenschlägt, zu zerstreuen. Da müssen ganz klare Aussagen zur Rechtstreue gemacht werden. Es darf nicht der Eindruck erweckt werden, das Grundgesetz zwar formal anzuerkennen, aber eigentlich nach idealen Vorstellungen einen muslimischen Staat zu wollen. Wenn solche Unklarheiten fortbestehen, dann darf sich niemand über Misstrauen wundern.
Welche Perspektive sehen Sie?
In zehn Jahren hoffe ich, dass es mehr Lehrstühle für islamische Theologie gibt, weitere Studiengänge für islamische Religionslehre und hoffentlich – je nach der religiösen Landschaft – in den einzelnen Ländern verschiedene muslimische Anbieter mit bekenntnisorientiertem islamischem Religionsunterricht unter staatlicher Aufsicht.
Was wird heute gelehrt?
Zurzeit gibt es nirgendwo bekenntnisorientierten islamischen Religionsunterricht, sondern nur verschiedene Schulversuche unterhalb des Grundgesetzsartikels 7. In Berlin beispielsweise mit seinem Modell der fehlenden staatliche Kontrolle über den Religionsunterricht wissen wir nur sehr unzureichend, was gelehrt wird. Aber wir hören immer mehr Klagen von Eltern und Lehrern, dass der Unterricht der Islamischen Föderation offenbar dazu führt, dass etwa immer mehr Kopftücher an den Schulen getragen werden. Es wird kritisiert, dass dort ein Islamunterricht stattfindet, in dem es Elemente von Indoktrinierung gibt. Zum andern soll die pädagogische Praxis nicht den Bildungsstandards entsprechen.
INTERVIEW: EDITH KRESTA
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