: Terrorprozesse in Deutschland
Seit mehr als zwei Jahren bemüht sich die Bundesanwaltschaft, mutmaßliche islamistische Terroristen rechtskräftig zu verurteilen. Die Vorwürfe reichen von Beihilfe zum mehr als 3.000fachen Mord bis zur Planung von Anschlägen, die nie stattfanden. Was die Fälle verbindet: Auf den Richtern lasten hohe Erwartungen, die Beweislage ist vielfach fragwürdig.
HAMBURG: Das Hamburger Oberlandesgericht versucht seit Oktober 2002 zu klären, ob zwei marokkanische Studenten als Mitwisser und Helfer in die Vorbereitung der Anschläge vom 11. September 2001 in den USA verwickelt waren. Unzählige Zeugen und Sachverständige wurden inzwischen befragt. Doch die Klärung der Schuldfrage in den Verfahren gegen Mounir al-Motassadeq und Abdelghani Mzoudi hakt. Verantwortlich dafür ist pikanterweise die US-Regierung. Denn Washington blockiert weiterhin zwei entscheidende Zeugen: Ramsi Binalshibh und Khalid Sheikh Mohammed, beide nach eigenen Angaben Drahtzieher der Anschläge. Ihre Aussagen könnten über den Ausgang der Verfahren entscheiden. Aber bisher stellten die USA dem OLG nur zwei gezielt herausgepickte Resümees aus Verhören zur Verfügung. Wohin dieser Kurs führt, haben Entscheidungen der Hamburger Richter wie auch des Bundesgerichtshofs (BGH) gezeigt. Der BGH kassierte einen erstinstanzlichen Schuldspruch gegen Motassadeq. Begründung: Möglicherweise entlastende Aussagen Binalshibhs wurden zu wenig berücksichtigt. Seit August 2004 wird das Verfahren deshalb in Hamburg neu aufgerollt. Mit einem Urteil wird frühestens im Mai gerechnet.
Motassadeq ist längst wieder auf freiem Fuß. Washington hat inzwischen angekündigt, weitere geheime Verhörunterlagen zur Verfügung zu stellen. Die Ankläger hoffen, dass das neue Material die Angeklagten belastet oder zumindest die bisherigen Aussagen der gesperrten Zeugen unterminiert. Denn ansonsten drohen ihnen weitere Blamagen. Vor gut einem Jahr bekam die Bundesanwaltschaft bereits einen Vorgeschmack, als das OLG einen Freispruch mangels Beweisen für Mzoudi verkündete. Die Ankläger hatten für ihn wie auch für Motassadeq die Höchststrafe von 15 Jahren Haft gefordert. Die Bundesanwaltschaft beantragte Revision. Der BGH will den Fall Mzoudi im Mai verhandeln.
DÜSSELDORF: Auch das Düsseldorfer Oberlandesgericht befasst sich seit Monaten mit dem Treiben mutmaßlicher islamistischer Terroristen in Deutschland. Im November 2003 wurde der Jordanier Shadi Abdallah zu vier Jahren Haft verurteilt. Er hatte gestanden, mit anderen angeblichen Mitgliedern der Islamistenorganisation al-Tauhid Anschläge auf jüdische und israelische Einrichtungen in Düsseldorf sowie in Berlin geplant zu haben. Abdallah, angeblich Ex-Leibwächter von Ussama Bin Laden, befleißigt sich inzwischen wie kein Zweiter als Kronzeuge der Bundesanwaltschaft in den deutschen Al-Qaida-Prozessen. Wegen seines Engagements wurde Abdallah vorzeitig aus der Haft entlassen und kam in ein Zeugenschutzprogramm. Dafür setzte die Bundesregierung sogar durch, dass der 28-jährige Jordanier von der UN-Liste der Terrorverdächtigen gestrichen wurde.
Allerdings gibt es Zweifel an Abdallahs Glaubwürdigkeit. Die deutschen Fahnder hoffen, dass er nicht plötzlich auf Nimmerwiedersehen abtaucht – und bei seinen Aussagen bleibt. Denn als Kronzeuge ist der Jordanier auch wichtig für die noch laufenden Düsseldorfer Verfahren gegen vier mutmaßliche Komplizen, die mit ihm die Anschläge geplant haben sollen. Wegen der angeblichen Anschlagspläne stehen seit gut einem Jahr drei Palästinenser und ein Algerier vor dem OLG. Nach Überzeugung der Bundesanwaltschaft agierten die Männer auf Anweisung des weltweit gesuchten irakischen Al-Tauhid-Anführers Abu Mussab al-Sarkawi. Ein Urteil in diesem Prozess ist noch nicht absehbar.
BERLIN: Mit welchen Schwierigkeiten die Bundesanwaltschaft zu kämpfen hat, wenn sie einen möglicherweise verhinderten Anschlag vor Gericht in einen Schuldspruch verwandeln soll, zeigt geradezu exemplarisch auch der Berliner Prozess gegen den mutmaßlichen Al-Qaida-Terroristen Ihsan G. Seit Mai 2004 steht der Tunesier in Berlin vor Gericht. Die Karlsruher Ankläger werfen ihm vor, in Berlin Terroranschläge auf amerikanische und jüdische Einrichtungen vorbereitet und dafür Gleichgesinnte gesucht zu haben. Die Bundesanwaltschaft ist überzeugt, durch die Festnahme von Ihsan G. im März 2003 Attentate verhindert zu haben. Die Beweislage in diesem Fall ist heikel. Die Anklagebehörde steht vor der Herausforderung, die geplante Gründung einer terroristischen Vereinigung und angeblich beabsichtigte Attentate zu beweisen. Dagegen steht die Strategie der Verteidigung. Sie behauptet, die Anklage habe nur „begründbare Vermutungen“ gegen den 34-Jährigen zu bieten, aber keine stichhaltigen Belege. Ein Beispiel genügt, um die Problematik zu verdeutlichen: Ihsan G. hat sich den Ermittlern zufolge aus dem Internet Schaltpläne heruntergeladen, hat sich über Salpetersäure, Schwefelsäure und Stickstoff informiert, hat einen Entfernungsmesser gekauft und einen Kameradetektor, um nachts zu filmen. All das ist durchaus verdächtig. Folgt man jedoch der Verteidigung, dann könnte Ihsan G. auch nur ein strenggläubiger Technikfreak sein. Die Entscheidung der Berliner Richter wird für den 6. April erwartet.