: Widerstand ist machbar, Herr Nachbar
Attac hat die Berliner Protestkultur nachhaltig verändert. Zwar ist der Hype der ersten Jahre verflogen, dennoch hat sich mit Attac eine starke außerparlamentarische Organisation in Berlin etabliert. Heute feiern die Globalisierungskritiker und -kritikerinnen ihr fünfjähriges Bestehen
VON FELIX LEE
In der freien Wirtschaft erlebt nur jedes zweite neu gegründete Unternehmen sein fünfjähriges Bestehen. Bei Politgruppen ist die Überlebensdauer noch kürzer. Attac hat es dennoch geschafft – mit einer geschickten Kombination aus professionellen „Bewegungsmanagern“ und einer aktionsorientierten Anhängerschaft. Heute feiert Attac Berlin seinen fünften Geburtstag.
Angefangen hatte alles am dritten Dienstag im Februar 2000 in den Räumen der „Stiftung Nord-Süd-Brücken“ in der Greifswalder Straße. Ein Dutzend VertreterInnen von NGOs trafen sich dort. Beeindruckt von den Bildern der Proteste gegen die Welthandelsorganisation (WTO) in Seattle und angetan von der Idee der französischen Zeitung Le Monde diplomatique, mit der Tobinsteuer, einer weltweiten Devisentransaktionssteuer, Spekulation und Armut zugleich zu bekämpfen, diskutierten sie die Folgen der Globalisierung und gründeten dabei die Berliner Sektion von Attac. Erst drei Wochen zuvor hatte sich in Frankfurt am Main der deutschlandweite Attac-Ableger gegründet. Die Anwesenden aus Berlin sagten sich, zwischen den halbjährlichen Bundestreffen könne man sich doch zusätzlich sehen.
Beim dritten Dienstag im Monat in der Greifswalder Straße ist es bis heute geblieben. Mittlerweile zählt die Berliner Gruppe etwa 1.400 zahlende Mitglieder, rund 150 von ihnen sind aktiv. Unter ihnen sind Alt-68er, frühere Friedens-, Umwelt- und FrauenaktivistInnen und Lehrer, Trotzkisten und Professorinnen, New-Economy-geschädigte Webdesigner und ehemalige Jungunternehmer, die auf dem Börsenparkett gescheitert sind. Die Hauptstadtsektion zählt im bundesweiten Vergleich mit insgesamt 16.000 Mitgliedern zur größten Ortsgruppe. Zugleich ist Attac in Berlin der aktivste linkspolitische Zusammenhang außerhalb der Parlamente überhaupt. Es vergeht keine Demo gegen Hartz IV, den US-Präsidenten, Studiengebühren, keine Demo für den Frieden oder ein soziales Zentrum in Kreuzberg, ohne dass die rot-weißen Fahnen mit dem Prozentzeichen mit im Spiel sind. Attac ist aus der Berliner Protestkultur nicht mehr wegzudenken.
War es die Forderung nach der Tobinsteuer, die sie ursprünglich zusammenbrachte, hat sich das Themenfeld seitdem stark erweitert. Unterteilt in zehn Arbeitsgruppen, beschäftigen sich die AktivistInnen aktuell mit dem globalen Finanzmarkt und den befürchteten Auswirkungen der EU-weiten Dienstleistungsrichtlinie. Sie prangern Unternehmerkorruption an, und bei den Protesten gegen den Bankenskandal haben sie ebenso mitgemischt. Zwar konnten sie Hartz IV – trotz intensiver Mobilisierungsarbeit – genauso wenig verhindern wie die Praxisgebühr, aber mit einer Rhetorik, die auf romantisches Revolutionsvokabular weitgehend verzichtet, gelang es den Aktivisten und Aktivistinnen doch, die politische Alltagskultur der linken Szene umzukrempeln. Nicht nur auf den eigenen Versammlungen scheinen alle theoretischen und praktizierten Grabenkämpfe vergessen, die das linke Szeneleben im Berlin der Neunzigerjahre so sehr geprägt haben. Heute bezieht man sich positiv auf Pluralismus. Und auch die NGOs, die ihren Schwerpunkt lange auf Lobbyarbeit gelegt hatten, setzen unter dem Eindruck der neuen Bewegung wieder stärker auf Basisbeteiligung und Aktionen. Längst suchen etablierte Umweltorganisationen wie Greenpeace und der BUND die Zusammenarbeit mit den Globalisierungskritikern. Selbst die schwerfälligen Gewerkschaften wollen ein wenig von der Bewegungsdynamik mitkriegen.
Den 3. April 2004, den größten Sozialprotest, den es in Deutschland bis dato gegeben hatte, verbuchten die Berliner Attacis als ihren überzeugendsten Erfolg. Zugleich zeigte das Demoaufgebot mit einer viertel Million TeilnehmerInnen aber auch das Ende der Expansion. Die Grenzen des Wachstums, die sie den Neoliberalen beschwörend prophezeien, bekamen die AktivistInnen spätestens bei den Montagsdemonstrationen im Frühherbst dann selbst zu spüren: Zehntausende Hartz-IV-Betroffene liefen hinter dem Lautsprecherwagen mit der Attac-Fahne her, verstanden aber nicht, was der Redner ihnen mitteilen wollte. So plötzlich die protestierenden Massen aus den Berliner Ost- und Armutsbezirken auftauchten, so schnell waren sie wieder verschwunden. Und auch der einst so frische Glanz der Jugend ist verblasst. War die offene und ideologisch undogmatische Struktur des globalisierungskritischen Netzwerks anfangs gerade für junge PolitaktivistInnen eine attraktive Alternative zu den verkrusteten politischen Strukturen der Neunzigerjahre, galt bei den Studentenprotesten vor einem Jahr Attac selbst inzwischen als etabliert.
Doch wahre „Attacis“ kennen keinen Frust. Zumindest hält er bei ihnen nicht lange an. Denn auch das haben die Bewegungsunternehmer gelernt: Ein langer Atem zahlt sich aus. Eine Erfahrung, die fünf Jahre Dauerprotest wohl einfach mit sich bringt.