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Archiv-Artikel

Eigene Geschichten

VIDEOKUNST Von der symbolischen Aufgeladenheit markanter Bauwerke und irreführend erzeugten Ortsmarken: Isa Rosenberger und Nira Pereg im Oldenburger Edith-Ruß-Haus

VON FRANK KEIL

Es hat sich gedreht. Ganz langsam, einmal um die eigene Achse, während man dort saß, aus dem Panoramafenster schaute. Oder nicht? Oder vielleicht nur zeitweise? Jedenfalls gab es dieses Café hier von Anfang an, von wo aus man einen weiten Blick hat, die Donau entlang – nach Osten und nach Westen. „Nový Most“ heißt die Brücke, die die beiden Stadthälften von Bratislava verbindet.

„Nový Most“ heißt auch der Film, den die österreichische Fotografin und Filmerin Isa Rosenberger in den Mittelpunkt ihrer Ausstellung im Edith-Ruß-Haus für Medienkunst gestellt hat: Eigentlich sollte die in fünfjähriger Bauzeit von 1967 bis 1972 errichtete Brücke sich viel weiter westlich über die Donau spannen. Doch da waren die Grenze und damit die Grenzanlagen und Wien nicht weit, manchmal bei besonders schönem Licht in der Ferne fast zu sehen. Dann sollte sie weiter im Osten von Bratislava errichtet werden, dort aber, weitab vom Stadtkern, war die Verkehrsführung nicht wirklich nützlich. Und so wurde sie genau in der Mitte errichtet – wie geschaffen, um sich symbolisch aufzuladen.

Entsprechend interessiert sich Isa Rosenberger weniger für das Bauwerk als für den Erinnerungsort: Begleitet von vielen Dokumentaraufnahmen – zunächst schwarz-weiß und leicht verrauscht; später wechseln die Farben ins Überblendete und die Menschen tragen ebenso ulkige Kleidung – kommen eine Großmutter, ihre Tochter und wiederum deren Tochter langsam ins Reden. Es ergeben sich drei einander ergänzende Lebensläufe, die von den Brüchen innerhalb der sozialistischen Gesellschaft erzählen, von den postsozialistischen Turbulenzen und den Chancen wie Mühen der heutigen Tage.

Währenddessen flanieren die Frauen mal allein, mal zu zweit, mal zu dritt über die Brücke: Die Enkelin erinnert sich mit leicht ironisch belegter Wehmut an die amerikanischen Fernsehserien, die aus dem nahen sichtbaren Österreich herübersegelten. Für sie war die Brücke schon immer da; ihr Blick ist längst ins Innere der Stadt gerichtet – in die Viertel, in denen immer mehr Wohneigentum entsteht, auf die Bewohner, die nach und nach ihre Sachen packen müssen. Ihre Mutter mag sich bei ihrem Rückblick nicht recht entscheiden: Manches war gut, anderes war es nicht: Die Benutzung des Aufzuges hoch auf die Plattform etwa war umsonst, der Preis für eine Tasse Kaffee blieb dort über Jahre hinweg gleich niedrig. Und ist es nicht ihre Stadt, auch ihre Brücke, also ein Ort, der immer zu ihr gehören wird, was immer auch drum herum geschieht?

Die Großmutter aber, die einst noch mit der Straßenbahn nach Wien in die Oper gefahren war, geht noch einmal zurück in die Jahre, als sich mit dem Bau der Brücke in der Stadt alles zum Besseren wenden sollte: Glücklich wie unglücklich habe sie sich gefühlt. Denn wo es einerseits leichter wurde, mal schnell den Fluss zu überqueren, verschwanden mit den Bauarbeiten auch Teile der östlichen Altstadt samt der ihr vertrauten Uferpromenade – und auch die einstige Synagoge von Bratislava wurde kurzerhand beseitigt.

Nicht allein deswegen passt es, dass man den Arbeiten Rosenberges die Videoinstallationen und Fotoreihen der Israelin Nira Peregs gegenübergestellt hat. Die beiden sind nicht nur etwa gleich alt, beide geboren 1969, sondern Pereg verfolgt ebenso den Weg der Hinterfragung von Lebensgeschichten und den erinnerten Momentaufnahmen, aus dem ein Leben sich in der Summe zusammensetzt. Dabei wird das Dokumentarische bei ihr filmisch noch etwas stärker der Kritik unterzogen, wenn sie mit Mitteln der Verfremdung – wie Überblendungen, Verzögerungen – und dem akustischen Trick der Nachvertonung arbeitet. So in Peregs eindrucksvoller Arbeit „Sabbath 2008“: Sie zeigt in einem gut siebenminütigen Loop die Schließung der ultraorthodoxen Viertel wie Ramot Polin in Jerusalem am Vorabend des Sabbat. Gitter werden scheppernd über die Straßen gezogen und ineinander gehakt; letzte Autos durchgewunken. Männer wie uniformiert in weißen Hemden und schwarzen Hosen schreiten scheinbar zielstrebig auf die noch befahrenen Kreuzungen und geben sich tonlos Anweisungen, während ihre Körper zugleich lässig schlackern.

Pereg hat ihren Film so nachvertont, dass die Geräusche wie das Scheppern der Metallgitter auf dem Asphalt und das warnende Hupen der Autos seltsam träge hinterherhallen. Es ist eine unwirklich-wirkliche Welt, die die Stadt so allmählich wie wortlos in eine säkulare Welt und eine sakrale Welt trennt. Die eigentlichen Rituale und Feierlichkeiten, denen sich der Einzelne wie die Gemeinschaft in den kommenden Stunden bald hingeben wie unterwerfen werden, bleiben ausgeblendet.

Noch einen Schritt weiter geht Pereg mit der zweiteiligen Arbeit „Souvenier“: Da erzählt der Flüchtling Jean Michel Bolima Amesi, der vom Kongo aus nach Israel gelangte, der Künstlerin ihrem Atelier, wie er auf einen Mann traf, den er für seinen Vater hielt und der das nicht war. Dazu zeigt Pereg Bilder eines fiktiven Rundganges durch Amesis Heimatstadt Kinshasa – zumindest hat ihre Kamera struppige Palmen eingefangen, Bretterzäune, hinter denen Geflügel pickt, und staubige Brachen entlang von Ausfallstraßen.

Wer meint, solche Straßenecken und Stadtansichten sofort zu (er)kennen, kommt kurz ins Stolpern – bis schließlich das Meer und seine Wellen die letzte Unsicherheit auflösen: Kinshasa liegt nicht am Meer, dafür aber Tel Aviv. Auch Amesi kommt während des Erzählens ins Schlingern, auf andere Weise: Aufgewühlt von den Erinnerungen, wie sie im Kern sein eigenes Leben betreffen, wechselt er ständig mal ins Englische, Französische, Hebräische oder erzählt auf Lingála – dem Betrachter bleibt nur, sich eine ganz eigene Geschichte zu erzählen.

bis 8. August, Oldenburg, Edith-Ruß-Haus für Medienkunst