: Auf den Nagel getroffen
Ein Mann der Widersprüche: Zu seinem 75. Geburtstag zeigen gleich mehrere Berliner Institutionen gemeinsam eine Retrospektive des Düsseldorfer Künstlers und frühen Aktionisten Günther Uecker
VON GLORIA ZEIN
Nachdem er Ende der Fünfzigerjahre mit der Künstlergruppe Zero bekannt geworden war, etablierte sich Günther Uecker als abwechselnd „aggressiver“ beziehungsweise „meditativer“, vor allem aber als nagelnder Künstler. Derzeit wird Uecker anlässlich seines 75. Geburtstages mit einer umfassenden Werkschau in Berlin geehrt, die seinen Werdegang in zwanzig Kapiteln chronologisch-thematisch nachzeichnet.
Im ersten Raum des Martin-Gropius-Baus ist das 1957 entstandene „gelbe Bild“ zu sehen, dessen Spannleisten Uecker mit Nägeln spickte. In den folgenden Jahren lotete er exzessiv die Möglichkeiten, das Tafelbild in den Raum auszudehnen. Leinwände wurden seitlich, frontal und rücklings attackiert, bürgerliche Kultobjekte mit einer „Sintflut“ von Nägeln überzogen. 1968 trieb er in gestischer Überhöhung einen Nagel von 20 Metern Länge durch das Vordach eines Dortmunder Kaufhauses. Zeitgleich entstanden „Aggressive Reihungen“ und Installation wie das Krach produzierende „Terrororchester“. Andererseits schuf Uecker in rhythmischen „Handlungen“ Situationen, Reihungen und Strukturen, von denen eine gänzlich beruhigende Wirkung ausgeht.
Auf diesen Gegensatz angesprochen, leuchtet das Gesicht des Künstlers auf: „Ja, der Mensch birgt derlei Widersprüche in sich. Erst in ihrer Vereinigung entsteht jene poetische Kraft, die uns erlaubt, ein Aggressionspotenzial in friedvolle Gesten, Zärtlichkeit und Liebe zu verwandeln.“ Solche Äußerungen sind charakteristisch für Günther Uecker, der sich als ethischer Vermittler zwischen den Kulturen versteht. Entsprechend bedient er sich philosophischer, religiöser oder politischer Schriften als Inspiration: Texte von Habermas und die Erklärung der Menschenrechte hat er auf Tücher kalligrafiert. In seiner jüngsten Installation, „Friedensgebote“, zitiert er Bibel, Thora und Koran. Stets will er so zum Dialog auffordern – was ein bisschen didaktisch wirkt, als Installation aber schön aussieht. Auch hier, in der Beschäftigung mit Schrift und Sprache, gibt Uecker sich widersprüchlich: So misstraut er dem sprachlichen „Feld einengender Begrifflichkeit“. Doch scheint er im Grunde auch am „offenen Möglichkeitsbereich“ des Bildes zu zweifeln, da er ihm konkrete, historisch beladene Texte beigesellt.
Uecker erklärt seine Untersuchung traditioneller Verankerung aus seiner Biografie. 1930 in Mecklenburg geboren, absolvierte der Sohn eines Landwirts eine Lehre als Maler und Reklamegestalter. Ab 1949 studierte er Kunst. Über Wismar und Berlin-Weißensee wechselte er 1955 nach Düsseldorf in die Klasse von Otto Pankok.
In Abkehr von der Formensprache des realen Sozialismus und als Antwort auf die in Westdeutschland favorisierten Ausdrucksgebärden des Abstrakten Expressionismus entstanden seine ersten Versuche mit Monochromen, Reihungen und Strukturen – für die er sich bis heute interessiert. 27-jährig begann er seine Zusammenarbeit mit der Zero-Gruppe unter Heinz Mack und Otto Piene, mit denen er bald internationale Aufmerksamkeit erlangte. Durch Ausstellungen, Performances und Aktionen außerhalb des musealen Raums, wie Ueckers Benagelung eines Klaviers im Gelsenkirchener Pianohaus Kohl 1964, schaffte die Gruppe neue künstlerische Freiräume.
Über Zero traf Uecker Yves Klein, Lucio Fontana, Piero Manzoni und Jean Tinguely. Er entdeckte, dass die Farbe Weiß alle Spektralfarben und damit alles Leben in sich vereint, und interessiert sich seitdem für das Zusammenspiel von Licht und Schatten. Kinetische Objekte wie die „Torkelscheibe“ entstanden, wohl auch angeregt durch Tinguely, sowie die Einbindung künstlichen Lichts in Installationen.
1964 reiste Uecker mit Zero für eine gemeinsame Ausstellung nach New York. Begeistert von der unbelasteten US-amerikanischen Kultur (im Gegensatz zu der von ihm erlebten DDR-Doktrin), formulierte er in einem Interview mit Hans Strelow sein Ideal des „leeren, „äußerlichen“ Menschen.
1966 wurde Zero aufgelöst. Uecker wollte nun Bilder machen, um „die lebendige Wirklichkeit zu erfahren“, realisierte jedoch noch einige Arbeiten mit performativem Charakter. Im April 1968 bezogen er und Gerhard Richter in Pyjamas die Kunsthalle Baden-Baden, Anfang der 70er-Jahre entstand seine 45-minütige Aktion Schwarzraum – Weißraum. In dem Bemühen, sich nach dem Ende von Zero als eigenständiger Künstler zu vermitteln, erfand er die Uecker-Zeitung, von der er bis 1982 neun Ausgaben drucken ließ. Bis auf die vorletzte Ausgabe, in der er, seit 1974 Professor an der Düsseldorfer Kunstakademie, seine Studenten vorstellte, widmet sich die manifestartige Zeitung dem eigenen Werk. Schriften unterschiedlicher Kulturen wurden in dieser Zeit zu seinen Wegbegleitern. In ausgedehnten Reisen durch China, Russland, Südamerika oder Afrika sucht er bis heute nach bereichernden Erfahrungen. Die einstige „Leere“ ist einer Fülle von Referenzen und kulturellen Bezügen in Ueckers Diskursen gewichen.
In seinem Harmoniebedürfnis erscheint er dabei wie ein ewig Suchender, der in Streifzügen das Faszinosum der Weltkulturen entdeckt. Verliebt in ihre Erscheinung will er „die Welt in ihrer Realität begreifen“. Davon zeugen über 300 im Neuen Berliner Kunstverein zusammengetragene Aquarelle. Weder aggressiv noch meditativ erlaubt sich Uecker, in Farben zu schwelgen. Von 15 Reisen hat er neben formalen Studien sinnliche, kraftvolle Landschaftsbilder mitgebracht. Doch auch hier überfrachtet er seine Freude am Bild mit der selbst ernannten Botschafterei zwischen den Kulturen, was die Klarheit seiner skizzierten Farbfelder irgendwie klischeehaft wirken lässt.
Formal erstaunlich homogen wirkt seine mit Alexander Tolnay sehr angenehm präsentierte Werkschau im Martin-Gropius-Bau – bedenkt man die unterschiedlichen kulturellen Einflüsse, an denen der Künstler seine Gedanken orientiert: Mit in ihrer frappierenden Einfachheit oft bestechenden visuellen Übersetzungen formuliert er seine simple Botschaft: „PC – politically correct“ wirbt Uecker für Toleranz, Aussöhnung und die Überwindung aller Widersprüche. Dass das auch noch harmonisch aussieht, hat sicher zu seiner Popularität beigetragen.
„Günther Uecker – Zwanzig Kapitel“: „Kapitel 1 bis 19“, bis 6. Juni, Martin-Gropius-Bau; „Kapitel 20“, 20. 4. bis 16. 5., Neue Nationalgalerie; „Günther Uecker – Aquarelle“, bis 6. Juni, Neuer Berliner Kunstverein (NBK)