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Archiv-Artikel

Hauptsache Kulturhauptstadt

Das Ruhrgebiet feierte bereits in Sektlaune, doch auch Görlitz gibt sich siegessicher. Das Rennen um die Europäische Kulturhauptstadt 2010 ist längst noch nicht entschieden

RUHR taz ■ Essen und das Ruhrgebiet haben es unerwartet auf Platz eins der Kulturhauptstadt-Jury gebracht. Nur Görlitz konnte noch mithalten. The Winner takes it all, heißt es bei Abba. Doch noch ist nicht der Tag des Siegerpodestes. Und den Gewinn sollte man erst zählen, „when the deal is done“. Auch in Görlitz sind alle ziemlich siegessicher. Sachsens Ministerpräsident Georg Milbradt (CDU) will „mit allem, was der Freistaat tun kann“ die Bewerbung unterstützen. Jetzt stünden die Chancen fifty-fifty. Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Peer Steinbrück (SPD) sprach nur von einem „großartigen Etappensieg“, den Essen und das Ruhrgebiet wirklich verdient hätten. Von Unterstützung sagte er nichts. Es wird also eng werden und das Ruhrgebiet muss sich als zukunftsfähige Metropole präsentieren, will man nicht am Ende doch mit leeren Händen dastehen.

Ein Blick ins Internet: Sechzigtausend Görlitzer gegenüber mehr als fünf Millionen Ruhrgebiets-Bewohner. Da sollte eine Kampf-Abstimmung über die beiden Städte eigentlich nur Formsache sein. Eindeutig ist das Votum im aktuellen Trendbarometer des Bundes-Informationsportals zur deutschen Kulturhauptstadt 2010 auch ausgefallen. Bei den virtuellen Tastenklickern sehen über 70 Prozent die östlichste Stadt Deutschlands vorn. Und sie hat alles, was das Revier auch sein will. Görlitz ist ein wichtiger Industriestandort. Waggonbau existiert hier seit 1849. Siemens entwickelt hier moderne Industrieturbinen und Görlitz hat mit der Landskron-Brauerei eine der bekanntesten Bierbrauereien Sachsens. Und sie hat eine über 930-jährige Geschichte, entstand am Schnittpunkt zweier alter Handelsstraßen, einer Süd-Nord-Route von der Adria zur Ostsee und der ost-westlichen „Via regia“ von Kiew nach Santiago de Compostela.

Schauen wir in die Chronik des Ruhrgebiets: 1041 erwähnt eine Urkunde des Kölner Erzbischofs Hermann II. das „villam publicam Cofbuockheim“. Erst 960 Jahre später wird hier eine schön restaurierte Jahrhunderthalle der Kruppschen Stahlindustrie für Furore sorgen. Um 1092 wird der Hof Bottrop als „Borgthorpe“ erstmals in den Besitzregistern des Klosters Werden erwähnt. Ja, das lag damals schon in der möglichen Kulturhauptstadt Europas.

Nächster analytischer Blick ins Internet. Homepage Görlitzer Bewerbungsseite: Die ist zwar nur artifiziell zweifarbig, aber hier werden wenigstens die Links von 15 heimischen Künstler transportiert und mit dem Görlitzer Kulturmanager und Geschäftsführer Peter Baumgardt kann kommuniziert werden. Auf der Ruhrgebietsseite ist es bunter. Aber irgendwie auch unkünstlerischer. Die Seite hat typisch pseudomodernes Durchschnittsdesign und erinnert fatal an Spielfilmwerbeunterbrechungen im Fernsehen.

Aber für Sponsoren gibt es einen Extrabutton. Fix gedrückt lernt der Besucher den Unterschied zwischen Partnern und Unterstützern und wie viel ein Haupt im Ruhrgebiet wert ist. Nämlich genau 25.000 Euro. Diese Summe unterscheidet den Sponsor vom Hauptsponsor. Der muss nämlich 50.000 Euro spenden. Legt er noch einmal das Doppelte hin, dann ist er sogar Partner der Kulturhauptstadtbewerbung und darf auch weit nach Silvester mal ein Feuerwerk im Revier abbrennen.

Heimische Künstler haben bislang nichts von der typisch Agentur gesteuerten Bewerbung. Sie durften nur Ideen preisgeben. Dafür hat Kulturdezernent Oliver Scheytt (SPD) schon mal telegen ein Highlight für „Die zweite Stadt“ – 1.000 Meter unter Essen – verraten. Da soll sich die amerikanische Konzeptkünstlerin Jenny Holzer austoben dürfen. Wie heißt es so schön auf der Internetseite des NRW Kulturministeriums: „Die Rahmenbedingungen, die Arbeitsmöglichkeiten und das Klima dafür zu schaffen, dass sich die künstlerischen und kulturellen Potenziale in NRW optimal entwickeln und entfalten können“, das sei die zentrale Aufgabe der Landeskulturpolitik. Alles nur Marketing? PETER ORTMANN