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Archiv-Artikel

Der beste Versuch einer Geflügelsuppe in ganz Berlin

Jan Feddersens Gastrokritik: Das Kellerrestaurant im Brecht-Haus in Mitte ist ein Gedicht – und Helene Weigel verpflichtet

Das Haus war mal so eine Oberkungelstube der Arbeiter- und Kulturrepublik namens DDR. Das ist lange her, dass es sie gab, und aktuell in der Pubertät lebende Menschen habe keine Erinnerungen mehr. Aber sie wissen: Bertolt Brecht ist okay, „Dreigroschenoper“ und so, nicht „Die Maßnahme“.

Brecht hatte eine Frau, die hieß Helene Weigel, Österreicherin, Köchin mit Herz. Im Brecht-Haus an der Chausseestraße, zwischen den U-Bahnhöfen Zinnowitzer und Oranienburger, wo in erschöpfenden Linien ästhetische Erwägungen und Vorletztbefindlichkeiten in Sachen Sozialismus und Kultur entworfen wurden, ist der Brecht-Keller beheimatet. Die Eigner sagen auf der Website: „wir fühlen uns der küche helene weigels verpflichtet – sie nannte ihre gerichte ‚versuche‘.“ Das war auch vor Wendezeiten schon so. Da, so heißt es, aßen seit Eröffnung 1978 im Brecht-Keller Teile der alternativen Nomenklatur der DDR.

Und damit zur Sache, zu Weigels Erbschaften. Wir aßen eine Hendlsuppe („Versuch Nr. 17“), eine Hühnerbrühe mit Einlage, wie der Berliner sagen würde: Es ist, blank gesprochen, die beste Geflügelsuppe, die man in der Hauptstadt derzeit bekommt. Keine Bouillon mit Pfannkuchenstreifchen, sondern eine kräftige Suppe, serviert in einer großen Tasse, in der viel noch nicht ausgelaugtes Fleisch schwimmt, dazu jede Menge Gemüse. Auch die Paradeisersuppe („Versuch Nr. 14“) ist fein: keine Tomatenpaste, die mit miesem Sherry gestreckt wird, sondern eine Angelegenheit feinster und flüssigster Konsistenz.

Der Kartoffelsalat heißt im Brecht-Keller selbstredend „Erdäpfelsalat“, das Gulasch ist von Szegediner Art (angerichtet mit Serviettenknödeln, „Versuch Nr. 37“), die Haxe heißt Schweinsstelze („35“), und der Vanille-Rostbraten („39 oder 40“) ist ein Gedicht: So viel kulinarisches k. u. k. Gelage glücklichster Weise ist ein Berlin einzig. Und die Salzburger Nockerln, die Kaiserschmarrn … Nehmen Sie Ihre Kinder mit, die werden diese Desserts als Pfannkuchen erkennen – und hernach strahlen.

Das Interieur, im Übrigen, lebt vom Nimbus: Bühnenlampen als Lichtquellen, Tische aus der Gründerzeit, alles ein wenig beengt, aber gemütlich. An den Wänden nachgebaute Bühnenbilder aus den glorreichen Zeiten, da das Theater den Sozialismus akkordierte. Der Service im Brecht-Keller ist als überschwänglich nicht zu bezeichnen, aber zugewandt und präsent. Leitungswasser wird nicht gereicht, halbe Essensportionen für den Hunger nach 22 Uhr ebenso wenig. Trotzdem: Wer diesen, eher dusteren Teil von Mitte nicht kennt: Es lohnt sich genau dieses Restaurants wegen.

KELLERRESTAURANT im Brecht-Haus, Chausseestr.125, 10115 Berlin, Fon 0 30 2 82 38 43, Internet www.brechtkeller.de, Öffnungszeiten variabel, gewiss Mo.–So. 18 bis 1 Uhr. Wein: etliche aus dem Saale-Unstrut-Gebiet. Hauptgerichte 8,97 bis 15,08 Euro