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Archiv-Artikel

Besucher müssen draußen bleiben

Durch die Visa-Debatte hat sich die Vergabepraxis der deutschen Konsulate weltweit verschärft. Selbst Jugendgruppen oder Künstlern werden die Papiere oft verweigert. Das Auswärtige Amt will keinen Zuwachs an Beschwerden bemerkt haben

VON PHILIPP DUDEK

Richard Wehmeyer hadert mit einer ganz persönlichen Visa-Affäre. Sie handelt von einem Freund aus Indien und einem sturen Konsulat in Chennai, dem früheren Madras. Seit Wochen freut sich der Musiker Wehmeyer auf den Besuch seines Assistenten und Freundes Venugopal Padmanaban aus Indien. „Aber Venu ist die Lust am Reisen gründlich vergangen“, sagt er.

Mehr als 20 Reisen hat Wehmeyer schon nach Indien unternommen und mehrere Projekte mit indischen Musikern begonnen. Mit der Einladung nach Deutschland wollte sich Wehmeyer für die Unterstützung bei einem Musikprojekt bedanken. Doch der Urlaubstrip scheiterte bislang am deutschen Generalkonsulat in der indischen Stadt Chennai. Das für eine Einreise notwendige Touristenvisum wurde nicht ausgestellt.

Seit im Herbst vorigen Jahres der Chrobog-Erlass den Volmer-Erlass in den deutschen Botschaften abgelöst hat, entscheiden die Konsulatsangestellten im Zweifel gegen die Reisefreiheit. Angesichts des eingesetzten Untersuchungsausschusses lastet auf vielen Botschaftsmitarbeitern seit Wochen großer Druck, nichts falsch zu machen.

Das bekam auch der 19-jährige Padmanaban zu spüren: „Es ist anzunehmen, dass Sie anstreben, Ihren Besuchsaufenthalt in Deutschland zu benutzen, um dort einen Daueraufenthalt zu nehmen“, heißt es in dem Bescheid. Der Hauptgrund für die Ablehnung sei, dass der Antragsteller keine indische Arbeitsbescheinigung vorgelegt habe.

Zu Zeiten des Volmer-Erlasses war es laut Wehmeyer deutlich einfacher, Besuch aus Indien einzuladen. „Früher war es ausreichend, schriftlich zu bestätigen, dass der Antragssteller eingeladen wird. Heute muss ich bei der zuständigen Ausländerbehörde für 25 Euro eine Verpflichtungserklärung unterschreiben, die vollen Kosten einer eventuellen Rückführung übernehmen und nachweisen, dass ich dazu finanziell in der Lage bin“, sagt Wehmeyer. Padmanaban wird jetzt einen zweiten Antrag stellen. Vorsorglich hat Wehmeyer schon einmal einen Beschwerdebrief an Christian Scheibe geschrieben, den deutschen Generalkonsul in Chennai.

Wie Reinhard Wehmeyer richten auch zahlreiche andere Betroffene ihre Beschwerden direkt an die Auslandsvertretungen. Aus dem Auswärtigen Amt in Berlin heißt es deshalb, man habe in letzter Zeit keine signifikante Zunahme an Beschwerden hinsichtlich der Visa-Vergabepraxis feststellen können. Seitdem der zuständige Untersuchungsausschuss seine Arbeit aufgenommen hat, häuften sich allerdings die Eingaben, in denen sich Betroffene über eine mögliche restriktivere Visa-Vergabe sorgten.

Doch wie der Musiker Wehmeyer hat auch die Naturfreundejugend Deutschlands den Eindruck, dass sich die Zeiten schon jetzt geändert haben. Der Jugendverband organisiert Deutschlandaufenthalte für Kinder und Jugendliche aus der Gegend um Tschernobyl. „Langjährige intensive Kontakte zwischen deutschen und ukrainischen Jugendorganisationen sind durch die Visa-Affäre gefährdet“, sagt Verbandssprecher Ansgar Drücker. „Reisen von Ukrainern nach Deutschland werden derzeit pauschal mit Zwangsprostitution und illegaler Einwanderung gleichgesetzt.“

Früher konnten für die ukrainischen Jugendlichen Gruppenvisa bei der deutschen Botschaft in Kiew beantragt werden. Jetzt müssen die Jugendlichen sich ihre Visa persönlich in der Botschaft abholen – sofern ihr Antrag überhaupt genehmigt wird. „Jugendliche aus der Westukraine müssen jetzt eine mehrtägige Reise nach Kiew auf sich nehmen“, sagt Drücker. Viele könnten sich das finanziell nicht leisten. „Wenn von 15 Jugendlichen einer Reisegruppe zehn nicht nach Deutschland kommen können, können wir viele Austauschprojekte streichen.“

Noch problematischer ist der Chrobog-Erlass für Menschen, die sich im Urlaub verliebt haben und sich jetzt gegenseitig besuchen wollen. „Sobald Angestellte der deutschen Auslandsvertretungen Hinweise auf eine Paarbeziehung haben, wird das Touristenvisum abgelehnt“, sagt Hiltrud Stöcker-Zafari vom Verband binationaler Familien und Partnerschaften in Frankfurt am Main. Oft genüge dabei schon die Tatsache, dass Mann und Frau im heiratsfähigen Alter sind.

Den Paaren wird von den deutschen Behörden in der Regel empfohlen zu heiraten. Die wenigsten werden diesen Schritt nach wenigen Wochen Urlaubsbeziehung wagen wollen. Paare, die es dennoch tun, stehen oft vor dem nächsten Problem. „Vielen Paaren wird dann die Anbahnung einer Scheinehe unterstellt“, sagt Stöcker-Zafari. Wer nicht genügend Ausdauer hat, macht dann einfach Schluss.