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Archiv-Artikel

Ein Verteidigungsfall

VON TOBIAS HÜLSWITT

Und zwar zieht Herr Sommer jetzt seinen Schnurrbart nach oben, rümpft seine Nase, wahrscheinlich weil ich auch wirklich nicht mehr gut rieche. Das sieht ganz ungünstig für Sie aus, Herr Valdonis, sagt er direkt, und ich würde gern meinen Daumen in einen empfindlichen Punkt an ihm bohren, sagen wir Ellenbeuge. Ich sehe überhaupt keinen Grund, sagt er mir ins Gesicht, warum Sie diese Arbeit nicht machen wollen, denn die war einwandfrei zumutbar, städtischer Reinigungsdienst, Biomüll, oder sind Sie sich da zu schade? Ja, nein, sage ich, weiß ich, ich will die ja tun. Aber? Die wollen mich so nicht mehr. Er: Davon ist mir nichts bekannt. Jetzt versuch ich ihm das Stück für Stück zu erklärn, damit’s transparent für ihn wird und diese komische Situation so bald wie möglich hinter uns liegt, weil sie mich, zugegeben, bisschen nervös macht, und mir ist elend, rein körperlich, ich bräuchte dringend frische Amphetamine, aber Herrn Sommer brauch ich nicht fragen, weil sogar wenn er sie hätte, ich würde keine bekomm, egal wie viele Anträge ich einreichen würd. Ich appellier in der ganzen Sache also an seinen Menschenverstand, an sein Wissen um den Lauf des Hasen quasi, an seine Lebenserfahrung, wovon er, weil er älter als ich ist, doch bisschen was haben muss, obwohl ich schon spüre, dass ich da zu naiv funktioniere im Augenblick. Stimmt, sag ich, die haben mich in diesem Sinne nicht weggeschickt, aber die –. Na also, sagt er. Ich: Ja, und jetzt muss ich mich ganz schön zusammenreißen, damit ich nicht frage, ob seine Mama ihm das nicht erklärt hat, dass man die Leute ihre Sätze ausreden lässt. Die haben nicht gesagt, Piet, du musst gehen, aber die haben halt jeden Tag gesagt, dass es nicht geht, dass ich ungewaschen zur Arbeit komm und mit meinen Taschen im Auto die ganze Rückbank belege – Ja mein Gott, ruft Herr Sommer, dann waschen Sie sich eben! Ich: Ja, und ich will ihm das alles ganz ruhig erklärn, ich will mich ja waschen, aber das ist ja mein Problem ohne Wohnung. Er: Sie kriegen die Wohnung nicht, wenn sie nicht arbeiten. Er steht auf und öffnet sein Fenster. Ich weiß, sage ich, tut mir auch Leid, dass ich Sie hier mit Geruch belästige, wirklich, aber das wird alles zur riesen Aktion, wenn die eigene Mutter dich rauswirft, will ich ihm sagen, und auch die Freundin dich rauswirft, aber ich komm nicht dazu, ihm das darzulegen, damit er sich’s in Ruhe mal überlegen und was lernen kann und beim nächsten, der so ankommt wie ich, vielleicht schon bisschen mehr versteht, denn wie er sich wieder hinsetzt, sagt er zu mir, dann gehen Sie eben ins Café 34, Heim für Obdachlose, geöffnet von 18 bis 6. Ey, sag ich, warn Sie da schon mal drin? Die klaun sich da gegenseitig die Schuhe, will ich ihm sagen, aber bevor ich den Mund aufkrieg, meint er: Sie brauchen gar nicht so zynisch zu grinsen. Und das trifft mich jetzt doch, weil ich bloß lächle, und falls irgendwie anders als gewollt dann höchstens traurig lächle, aber er legt es in seiner Verblendung absichtlich falsch aus, stellt sich dumm, und ich spür schon, gleich bin ich mit meiner Geduld am Ende. Er: Da Sie diese zumutbare Arbeit nicht machen wollen, streiche ich jetzt Ihre Bezüge. Hui, sage ich. Dann sage ich kurz einmal nichts. Ich merke, dass meine Felle hier quasi vollspeed davon sind, mein Karma hat mich wieder erwischt, und dagegen bin ich machtlos, siehe Mama, siehe Freundin, aber diesmal, wie es mich mich ankuckt, das Karma, in Form von Herrn Sommer – dann doch schlichtweg unmöglich zu akzeptiern. Und ich: Herr Sommer, Entschuldigung, jetzt mal Reinschrift, dann hab ich ja gar nichts mehr. Er zuckt mit den Schultern, kuckt aus dem Fenster, fieses Märzwetter. Ich steh also auf. Er sagt nicht tschüss oder so. Ich logisch auch nicht. Mit dem Fahrstuhl zum Keller, ich weiß ja noch, wo das Zeug steht. Brauner Deckel, 200 Liter frische Kantinenreste, die so ähnlich riechen wie ich. Mit dem Fahrstuhl wieder nach oben, dritter Stock, seine Tür hat Herr Sommer hinter mir zugemacht, und ich mache sie wieder auf. Deckel hoch, Tonne abstellen und weiterschieben, ich bin jetzt schon ruhiger, oder ich kann das nicht so genau definiern, was ich jetzt bin. Es ist eben Krieg, Verteidigungsfall, Grundrechtsalarm. Und ich sage Herrn Sommer: Da hamm Sie Ihre zumutbare Arbeit, junger Freund. Und zwar schaff ich’s nicht einmal zurück bis zum Fahrstuhl, da komm schon von beiden Seiten die Herren in Grün und fangen an, mich zu schubsen.