: Maler müssen Frisöre werden
AUSBILDUNG Jugendliche Schulabgänger protestieren in der Bildungsbehörde gegen das drohende Aus für die Autonomen Jugendwerkstätten
Seit 1983 bilden die Autonomen Jugendwerkstätten (AJW) benachteiligte Jugendliche, die auf dem freien Arbeitsmarkt keinen Ausbildungsplatz bekommen, gewerblich aus.
■ Die Vereins-Finanzierung erfolgt im Rahmen der Jugendberufshilfe durch Gelder der Bildungsbehörde, der Agentur für Arbeit und des Europäischen Sozialfonds.
■ Schon nach einer Kürzungswelle 2003 mussten die AJW ihre Frauentischlerei dicht machen, die Ausbildungswege zum Maurer und zum Gas- und Wasser-Installateur wurden eingestellt.
„Kreativ und innovativ durch Bildung“, so steht es auf einem Plakat, das den Flur des sechzehnten Stocks der Bildungsbehörde in der Hamburger Straße ziert. Hier, wo auch Senatorin Christa Goetsch (GAL) residiert, fanden sich am Dienstag rund 35 Jugendliche zu einem unangekündigten Besuch ein, die ihre Chance auf Bildung von der Behörde beschnitten sehen.
Anlass der Protest-Visite: Die Schulabgänger hatten sich bei den Autonomen Jugendwerkstätten (AJW) um einen Ausbildungsplatz als Maler, Tischler oder Gärtner beworben und waren allesamt abgelehnt worden. Denn die Bildungsbehörde strich den AJW die Förderung für sämtliche neuen Ausbildungsmaßnahmen. 40 freie Plätze bleiben deshalb unbesetzt. Die AJW stehen damit nach 26 Jahren vor dem Aus.
Senatorinnen-Büroleiter Armin Oertel, der sich den ungebetenen Besuchern stellte, begründete den Total-Kahlschlag damit, dass etwa „Maler und Tischler wenig Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben“. Die Chancen bei von anderen Trägern angebotenen Ausbildungsgängen seien „schlicht höher“.
Dem widerspricht AJW-Geschäftsführer Michael Nieselt: „Wir haben bei den von uns ausgebildeten Jugendlichen Vermittlungsquoten von bis zu 80 Prozent – gerade Maler und Landschaftsgärtner sind durchaus gefragt.“ Nieselt beklagt, dass die Stadt nun nicht mehr „für eine möglichst breite Ausbildungspalette“ garantiere: „Jugendliche, die Maler oder Gärtner werden wollen, müssen sich nun zum Frisör oder Kellner ausbilden lassen, nur weil die Stadt diese Weiterbildungsgänge noch finanziert.“
Neun Träger der Jugendberufshilfe hatten sich in diesem Jahr um die Finanzierung von Ausbildungsmaßnahmen beworben – mit den AJW und der Harburger Passage GmbH gingen zwei von ihnen völlig leer aus. „Die Integrationschancen in den Arbeitsmarkt, die Eignung der Maßnahmen für die Zielgruppe und ihre betriebsnahe Ausrichtung sind bei den Angeboten anderer Träger besser“, begründet Behördensprecherin Brigitte Köhnlein die Absage.
Konsequenz für die AJW: Die Ausbildungswerkstätten mit einer Kapazität für 120 Auszubildenden können nun nicht mehr kostendeckend betrieben werden, da ein kompletter Jahrgang fehlt. Räume müssen abgegeben werden. Zudem droht etwa der Hälfte der 21 AJW-Mitarbeitern die Kündigung zum Jahresende. Nieselt sagt: „Wenn die Behörde nicht einlenkt, können wir nur noch abwickeln.“ MARCO CARINI