: „Wir müssen viele Menschen erreichen“
MUSIKFESTIVAL Das am Samstag startende Schleswig-Holstein Musikfestival steht unter dem Motto: „Heimspiel – Deutschland entdecken“. Neben klassischen Konzerten treten auch die „Biermösl Blosn“ auf. Intendant Rolf Beck erklärt, warum er beides braucht
■ arbeitete mit vielen internationalen Orchestern zusammen. Er leitet seit elf Jahren das Schleswig-Holstein Musikfestival. Foto: dpa
INTERVIEW PETRA SCHELLEN
taz: Herr Beck, welche neuen Facetten deutscher Musik soll Ihr Festival offenbaren?
Rolf Beck: Das Programm enthält verschiedene Aspekte, die sich nicht allein auf die klassische Musik beziehen, sondern es gibt auch Projekte, die eigens für uns erstellt wurden – etwa den Abend „Repression und Utopie: 1789 / 1989“ auf Kampnagel, wo wir unter dem Motto „Wendezeiten“ Texte aus dem Deutschland zur Zeit der französischen Revolution und der Endzeit der DDR rezitieren. Das ist ein Abend mit Musik, Schauspielern und Filmen – eine ganz neue Konzertform.
Steckt hinter diesem Programm auch eine politische These, etwa: Deutschland ist sehr wohl revolutionsfähig?
Nein. Wir wollen bloß schildern, dass es 1789 und 1989 vergleichbare revolutionäre Bewegungen gab.
Gibt es eigentlich einen spezifisch deutschen Orchesterklang?
Die warme, dunkle Klangfarbe, die ich hier ins Feld führen würde, wird leider immer seltener. Am ehesten pflegt ihn noch die Staatskapelle Dresden. Und vielleicht die Berliner Philharmoniker – aber auch sie haben sich in den letzten Jahren stark verändert. Die Orchester werden in ihrem Timbre verwechselbar, gleichen sich international an. Das hat auch mit einer neuen Dirigenten- und Musikergeneration zu tun.
Das diesjährige Festival-Motto ist ja ambivalent: Es heißt einerseits „Heimspiel“ – man kennt schon alles –, andererseits soll man Deutschland „entdecken“. Welche Aspekte deutscher Musik sind bislang unentdeckt?
Wieso bedeutet das Wort „Heimspiel“, dass man alles kennt? Das ist eine Unterstellung! „Heimspiel“ heißt, dass wir Deutschland beleuchten – nicht mehr und nicht weniger. Und zu entdecken gibt es eine Menge. Unser Programm erschöpft sich ja nicht in Brahms, Beethoven und Wagner, sondern reicht bis zu experimenteller Musik und Jazz.
Sie präsentieren auch Herbert Feuerstein und die Biermösl Blosn. Wie weit reicht Ihre Toleranz?
Die Grenze ist die Qualität. Bei uns geht es nur darum, ob Musik gut ist oder nicht – egal, aus welcher Branche sie kommt. Für die Biermösl Blosn haben wir uns entschieden, weil sie ähnlich gute Qualität bringen wie klassische Orchester, weil sie originell sind und weil sie ein bestimmtes Publikum interessieren. Immerhin waren deren Konzerte blitzschnell ausverkauft.
Sind Besucherzahlen ein Indiz für Qualität?
Nein. Die Qualität prüfen wir vorher, und dann bieten wir es an. Diese Praxis dient dazu, das Festival am Leben zu erhalten. Der Staatszuschuss liegt bei 18 Prozent. Wir müssen sehen, dass wir viele Menschen erreichen und Karten verkaufen.
Auf dem Programm steht auch ein Abend mit alten deutschen Liedern, die die „Klezmatics“ präsentieren. Wollen Sie die Zuhörer mit dem deutschen Volkslied versöhnen?
Wir wollen einen neuen Blickwinkel auf bestimmte Traditionen. Deshalb haben wir hierfür keinen Männerchor eingeladen.
Auf welches Publikum zielen Sie?
Auf ein möglichst breites. Wir wollen mit ungewöhnlichen Angeboten ein Publikum erreichen, das normalerweise nicht ins Konzert geht. Die Idee ist, das Angebot zu verbreitern, ohne das traditionelle Publikum zu vergraulen.
Loten Sie diese neuen Publikumspotenziale auch schon für die Hamburger Elbphilharmonie aus, deren Residenzorchester Ihre NDR-Sinfoniker sein werden?
Das Schleswig-Holstein Musikfestival ist eines der größten deutschen Festivals.
■ Bei der diesjährigen 24. Auflage des Festivals gibt es 150 Konzerte an 48 Orten „zwischen dem südlichen Dänemark und Nordniedersachsen“.
■ Zu den Spielstätten gehören traditionell Scheunen und Schlösser (Land), aber auch Konzertsäle und Theater (Stadt)
■ Für Schleswig-Holstein ist das Festival ein „bedeutender Wirtschaftsfaktor“, sagte gestern Festival-Intendant Rolf Beck.
■ Das Schleswig-Holstein Musikfestival wurde 1985 vom Dirigenten Justus Frantz gegründet. Einer der Mitinitiatoren war der damalige Ministerpräsident Uwe Barschel, der bei der Gründungsveranstaltung als Erzähler im „Karneval der Tiere“ von Camille Saint-Saëns auftrat.
Die Elbphilharmonie haben wir derzeit überhaupt nicht im Blick. Die ist noch so weit, und die Bemühungen in Hamburg müssen erstmal angeschoben werden. Im Augenblick wird da viel geredet und wenig getan.
Sie glauben also nicht, dass es – neben dem traditionellen Klassik-Publikum – ein auch für Abos aquirierbares Konzertpublikum gibt?
Doch, diesen Optimismus habe ich, sonst würde ich diese Programme nicht machen. Wenn wir mit dem NDR-Sinfonieorchester nach Kampnagel gehen, erhoffen wir uns natürlich auch andere Publikumsschichten. Und was unser Festival betrifft, bin ich sehr dankbar, dass wir den Schlagzeuger Martin Grubinger als ständigen, jedes Jahr wiederkehrenden Gast haben. In Lübeck spielt der einen Abend lang Werke des zeitgenössischen Komponisten Iannis Xenakis. Das Konzert war innerhalb weniger Wochen ausverkauft. Nicht wegen Xenakis. Sondern weil die Leute den Grubinger hören und sehen wollen. Das scheint also ein gangbarer Weg zu sein.
Warum ist es überhaupt nötig, neue Zuhörerschichten zu suchen, wenn das klassisch-konservative Publikum doch qua Alterspyramide von selbst nachwächst?
Weil jetzt eine Generation auf uns zukommt, die im Zeichen von Adorno groß wurde und die außerdem kaum noch Musikunterricht in der Schule hatte. Die muss man irgendwie ins Konzert holen. Es ist ja nicht so, dass die Leute, die in zehn Jahren zu den Senioren gehören werden, zwangsläufig eine Beziehung zur klassischen Musik haben.
Sie glauben also nicht, dass Menschen mit 60 automatisch anfangen, Brahms zu lieben?
Nein.
11. Juli bis 30. August