: Zuletzt Instanz
Der Band „Worauf es ankommt“ versammelt Essays der im Dezember verstorbenen Schriftstellerin Susan Sontag, die sie als scharfe Gegnerin der Kulturindustrie zeigen
Für House and Garden hat sie 1983 einen Aufsatz über ihre Liebe zu Höhlen und Grotten geschrieben. Und als im gleichen Jahr in New York das Bunraku Puppet Theatre auftrat, stammte der Text auf dem Programmzettel von ihr. Susan Sontag war nicht nur wählerisch. Aber wo immer die letzten Dezember an Krebs gestorbene Autorin in Erscheinung trat, machte sie wenig Kompromisse. Ihr 1986 in der Vogue gedruckter Essay „Tänzer und Tanz“, in dem manche Absätze eine ganze Buchseite lang sind, dürfte in der Redaktion zu einigen Diskussionen geführt haben – so viel Akademismus ist man in der Modezeitschrift sonst sicherlich nicht gewöhnt.
„Worauf es ankommt“ ist der zweite große Band mit Aufsätzen von Susan Sontag, nach ihrem 1966 erschienenen Schlüsselwerk „Against Interpretation“. Damals war die kaum 30-jährige Autorin fest in die New Yorker Kunstszene eingebunden, während ihre Porträts von französischen Philosophen, Schriftstellern und Filmemachern handelten. Artaud, Godard, Nathalie Sarraute oder Jean Paul Sartre – Sontag leistete Entwicklungshilfe für eine sich in den USA formierende Kulturlinke. Gleichwohl hielt sie nichts von strengen Regeln, forderte sie doch vom zeitgenössischen Schriftsteller keinen ästhetischen Kanon, sondern bloß „Transparenz“ im Schreiben; dann wieder lieferte sie mit ihrem Begriff von der „Kultur einer neuen Erlebnisweise“ Argumente gegen eine Trennung von Hoch- und Massenkultur. Und schließlich wurden ihre „Notes on Camp“ als Verteidigung einer hedonistischen Kultur gelesen, die nach Sontags eigener Vorstellung „unengagiert, entpolitisiert – oder zumindest unpolitisch ist“.
Zu einem solchen Verständnis steht „Worauf es ankommt“ schon durch den Titel im Widerspruch. Nicht von ungefähr findet sich in der Textsammlung ein Vorwort, das Sontag 1996 für die spanische Neuauflage von „Against Interpretation“ verfasst hat. Darin verteidigt sie zwar ihre Forderung nach einer „Erotik der Kunst“. Doch geschieht dies aus einer Perspektive der Ernüchterung: Sontag weiß, dass ihre Überlegungen damals aus dem Wunsch nach der Utopie einer sich durch die Kultur verändernden Gesellschaft geschrieben wurden, doch diese Welt „existiert nicht mehr“, wie es an einer Stelle ebenso lapidar wie schmerzhaft heißt. Stattdessen versucht Sontag die Haltung gerade auch nachträglich zu verteidigen, obwohl der Pop der Sixties in Kulturindustrie aufgegangen ist: „Barbarentum ist einer der Ausdrücke für das, was an die Macht gelangt ist.“ Die damalige Kunst bleibt Sontag wichtig, weil sie gegen das Bestehende verstoßen wollte. Der Geschmack von einst gilt weiterhin; nur haben die Werte, die sich in entsprechenden Urteilen – etwa zur Pornografie – spiegelten, keine Gültigkeit mehr im komplett kapitalisierten Betrieb.
Dieser Abschied mag Sontag in den Neunzigerjahren leicht gefallen sein. Immerhin galt sie längst als intellektuelle Autorität, das merkt man auch dem Gestus an, mit dem sie etwas pathetische Elogen auf Elizabeth Hardwick oder Glenway Wescott schreibt. Plötzlich gibt es eine amerikanische Tradition des Romans, die zur Zeit von „Against Interpretation“ vollkommen belanglos war. Ähnlich ausufernd sind auch ihre Würdigungen des Modern Dance gelagert, mit denen sie Merce Cunningham zum Meister des zeitgenössischen Balletts erhebt. Da hat man oft das Gefühl, Sontag wäre gerne eine Instanz nach Art von Günter Grass geworden. Tatsächlich ist „Worauf es ankommt“ eine stolze Bilanz der Entwicklung in Richtung Großschriftstellerin: Die englische Ausgabe erschien 2001, nachdem Sontag den National Book Award für ihren Roman „In America“ erhalten hatte.
Aber dann ist da auch noch die andere Seite, auf der sie ihr Schreiben ganz in den Dienst des sozialen und politischen Engagements stellt. Plötzlich versteht man sehr viel besser, warum sie in der Zeit der Belagerung von Sarajevo in die bosnische Stadt ging, um dort „Warten auf Godot“ aufzuführen. In dem 30-seitigen Rückblick ist alle Eitelkeit verschwunden, es geht nur mehr darum zu vermitteln, warum vor Ort etwas getan werden musste. Denn im Grunde war das Stück, das sie gemeinsam mit bosnischen Schauspielern einprobte, kein kultureller Brückenschlag, sondern der Versuch, die Situation für den Moment erträglich zu machen. Mehr noch, es war ein „Warten auf Clinton“, auf dessen militärische Intervention Sontag hoffte. Insofern wäre es aber auch interessant gewesen, die englische Ausgabe um ihre aktuelleren Texte zum Irakkrieg zu erweitern. Da stand sie mit ihren Bedenken gegen Bush ganz und gar für eine friedliche Lösung.
HARALD FRICKE
Susan Sontag: „Worauf es ankommt“. Aus dem Amerikanischen von Jörg Trobitius. Carl Hanser Verlag, München 2005, 454 Seiten, 25,90 €