piwik no script img

Archiv-Artikel

Neue Morde an Vertretern der Landlosen in Brasilien

MASSAKER Im Bundesstaat Pernambuco sind fünf Landarbeiter regelrecht hingerichtet worden

PORTO ALEGRE taz | Im Nordosten Brasiliens sind am Montag fünf Landarbeiter erschossen worden. Die Männer, allesamt Mitglieder der Landlosenbewegung MST, wurden beim Häuserbau in der MST-Siedlung „Chico Mendes“ im Landesinneren des Bundesstaates Pernambuco überrascht. Die Killer kamen mit dem Motorrad, zwangen die Landarbeiter, sich auf den Boden zu legen, und ermordeten sie mit Kopfschüssen.

Auf dem 660 großen Areal von „Chico Mendes“ leben 30 Familien ehemaliger Landloser, die die frühere Farm vor drei Jahren zugesprochen bekamen. Vorausgegangen war eine elfjährige Mobilisierung. Viele der angrenzenden Ländereien sind immer noch Gegenstand von Landkonflikten. Die MST-Aktivisten vor Ort halten einen Racheakt für möglich. Im Februar waren in einer Nachbargemeinde vier Wachmänner einer Farm von Landlosen erschossen worden, drei der sechs Verdächtigen sitzen noch in Untersuchungshaft.

Die ungleiche Landverteilung in Brasilien führt zu schweren Konflikten, denen vor allem Landlose und Kleinbauern zum Opfer fallen. Nach Angaben der katholischen Landpastoral CPT wurden 2007 und 2008 jeweils 28 Menschen bei Landkonflikten getötet, die meisten von ihnen im Amazonasgebiet. Die Zahl der Todesopfer zwischen 1985 und 2008 liegt bei 1.500. Im kürzlich vorgestellten CPT-Bericht über die Gewalt auf dem Land ist von 1.170 Landkonflikten, 44 Mordversuchen und 90 Todesdrohungen die Rede. Immer stärker bedrängt werden indigene, afrobrasilianische oder Flussbewohner, also Gemeinschaften, die schon lange auf ihrem Land wohnen, allerdings meist ohne Besitztitel.

Für den emeritierten Bischof Tomás Baduíno ist im ländlichen Brasilien eine „Gegenagrarreform“ in Gang. Die Produktivitätsindikatoren, nach denen der Staat entscheidet, welches Land enteignet werden kann, seien seit den 1970ern nicht mehr aktualisiert worden. „Brasilien fällt wieder auf die Rolle des Rohstoffexporteurs zurück“, meint der CPT-Aktivist mit Blick auf die sich ausweitenden Monokulturen von Soja, Zuckerrohr oder Eukalyptus.

Parallel dazu wurden letztes Jahr 280 Fälle von sklavereiähnlichen Arbeitsverhältnissen registriert, mehr als je zuvor. Die meisten Verbrechen gegen Landlose, Kleinbauern und Indígenas bleiben ungeahndet. Dadurch werde „die Kriminalisierung der sozialen Bewegungen erleichtert“, so Balduíno. Teile der Justiz schlügen sich ungenierter denn je auf die Seite der Großgrundbesitzer. GERHARD DILGER