: Mit Rechentricks gegen die Bildungsnot
Als Reaktion auf die schlechten Ergebnisse bei Lernstandstests kündigt die Schulministerin an, 2.400 neue Lehrerstellen zu schaffen. Einer Schulreform will sie damit aus dem Weg gehen. CDU: „Stellen schon verfrühstückt“
DÜSSELDORF taz ■ „Ich kann mit dem Ergebnis nicht zufrieden sein“, musste SPD-Schulministerin Ute Schäfer zu Beginn der Woche einräumen, als sie die Ergebnisse der Lernstandserhebung der neunten Klassen bekannt gab. Denn die zeigen, dass jeder vierte Hauptschüler in Nordrhein-Westfalen Schwierigkeiten hat, einfache Texte zu lesen. Und während 80 Prozent der Gymnasiasten über gute Englischkenntnisse verfügen, sind es unter den Hauptschülern nur sechs Prozent.
Doch auf Geheiß von Ministerpräsident Peer Steinbrück (SPD), der eine grundlegende Debatte über das Schulsystem im Wahlkampf unbedingt verhindern will, beschränkt sich Schäfer nun auf Einzelmaßnahmen, um die Schulen fit zu machen. Neben der Ausweitung der wöchentlichen Unterrichtszeit in der Sekundarstufe I soll vor allem die Schaffung von 2.400 zusätzlichen Lehrerstellen bis zum Jahr 2010 dafür sorgen.
Die Zahl, die auf den ersten Blick noch eindrucksvoll erscheinen könnte, sieht bei genauerem Hinsehen jedoch eher mickrig aus: von den angekündigten Stellen sollen 1.750 an nicht-gymnasialen weiterführenden Schulen eingerichtet werden. Das Problem: In NRW gibt es zusammen rund 1.500 Haut-, Real-, und Gesamtschulen. Im Durchschnitt bliebe damit also für jede dieser Schulen ungefähr ein neuer Kollege übrig. Da ohnehin jedes Jahr 5,8 Millionen Stunden ausfallen, dürfte von einer zusätzlichen Förderung kaum die Rede sein.
Zudem, so rechnet Bernhard Recker, der schulpolitische Sprecher der CDU, vor, seien die angekündigten Neueinstellungen schon längst „verfrühstückt“, mit den aktuellen Ergebnissen der Lernstandserhebung hätten sie nichts zu tun. „Diese Stellen sind längst eingeplant, um die gymnasiale Schulzeit wie vorgesehen auf zwölf Jahre zu verkürzen“, so Recker zur taz. Um zusätzlich geschaffene Stellen handelt es sich dabei nach Ansicht der Union nicht. Vielmehr würden durch den Rückgang der Schülerzahlen Lehrerstellen frei, die umgewidmet würden.
Dass gerade die Hauptschulen beim Test so schlecht abgeschnitten haben, sei keine Überraschung, erklärte Recker: „Die haben im Wettbewerb der Schulen seit zehn Jahren keine Chance gehabt, weil sie von der Landesregierung immer vernachlässigt wurden.“ Er kündigte an, dass die CDU im Falle eines Wahlsiegs im Mai die Hauptschulen aufwerten wolle. Recker räumte allerdings ein, dass man in Kommunen, wo die Schülerzahl zurückgeht, Haupt- und Realschulen möglicherweise zu so genannten Aufbauschulen zusammenlegen werde.
Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) zweifelt den Wert der Lernstandserhebung generell an. Zwar seien vergleichende Untersuchungen durchaus nützlich, doch entstehe durch die Beschränkung auf die Fächer Mathematik, Englisch und Deutsch der Eindruck, als „gäbe es nichts anderes mehr“, so der Landesvorsitzende Andreas Meyer-Lauber. „Wir halten die Fokussierung auf diese drei Fächer für problematisch, weil sie die Entfaltung der Persönlichkeit verengen“.
Ebenso wie die die CDU wirft auch die Gewerkschaft dem Ministerium zudem vor, dass die angekündigten neuen Stellen bereits für die Schulzeitverkürzung verbraucht werden. Was das Land nun vollmundig als „Ausweitung der Unterrichtszeit“ darstellt, bedeute „in Wahrheit nur eine Stunde mehr Unterricht in der Klasse fünf“, so Meyer-Lauber. Die Diskussion um die verlängerte Unterrichtszeit und vor allem um den jährlichen Stundenausfall bezeichnete Meyer-Lauber jedoch als „Ablenkungsmanöver“. Statt dessen müssten zwei andere Fragen viel stärker in den Vordergrund rücken – die Qualität der Lehrerausbildung sowie die Schulstruktur. „Der Reform der Schulstruktur steht nach der Landtagswahl auf der Tagesordnung.“ ULLA JASPER