: DURS JACKSON UND MICHAEL GRÜNBEIN
VON RUDOLF WALTHER
Zu wünschen wäre, jede Zeit hätte „ihre“ Lyriker wie das 20. Jahrhundert zum Beispiel Bert Brecht (1898–1956) und Gottfried Benn (1886–1956). Die beiden verbindet, dass sie zeitweise – in unterschiedlicher Richtung – politisch ziemlich gewaltig irrten. Der eine sah vorübergehend in der stalinistischen Diktatur, der andere in der nationalsozialistischen Diktatur eine Garantie für die Zukunft des Landes. Beide bemerkten ihre Irrtümer allerdings schnell und wurden zu den maßgeblichen Dichtern der deutschen Nachkriegszeit – der Zeit der Schmitts und Globkes, der Lübkes und Gehlens, der Hinzes und Kunzes. Sie hielten diesen mit unterschiedlichen sprachlichen Mitteln gnadenlos den Spiegel vor.
Für die zweite Hälfte des 20. und den Beginn des 21. Jahrhunderts sind noch keine Brechts und Benns in Sicht. Aber einen Bennino immerhin, auf Deutsch ein Bennchen, haben wir schon mal. Als Michael Jackson kürzlich starb, war Bennino gerade in Rom unterwegs und dichtete, beflügelt von der Stadt, schnell etwas drauflos zum Tod der „Sphinx des Pop“. Er begann sein Gedicht mit einer Frau, die auf der Via Condotti über den Tod des Idols trauert. Frau geht immer, und die Via Condotti kennen auch jene, die noch nie in Rom gewesen sind. Zweite Strophe: „Auf dem Laufband Leben“ wird „auch an diesem Junitag keiner jünger“ – auch das wissen selbst jene, die sonst gar nichts wissen.
Um dem etwas Allgemeinplätzigen zu entkommen, legt Bennino der trauernden Frau auf der Via Condotti nach bewährtem Rezept die lateinischen Vokabeln „Roma aeterna“ und „populus“ in den Mund und zitiert die Namen zweier alter römischer Dichter her: „Tacitus düster“ und „Sueton entzückt“. Das bringt was – zumindest bei Leuten mit G-8-Abitur ohne Latein.
Michael Jackson – bei Bennino „der Herzens-Ariel“, „Peter Pan in Röhrenhosen“, „Astro-Diva“, „Fred Astairs schwarzer Neffe“ und „Clown“ in einer einzigen Strophe –, Jackson also hat ganz profan „das Handtuch geworfen“. Hat er das wirklich? Oder vielleicht nicht doch eher das eine oder andere zu viel aus der Hausapotheke eingeworfen?
Der umtriebige Instant-, Gelegenheits- und Gebrauchslyriker Bennino heißt mit richtigem Namen Durs Grünbein und stammt aus Dresden. Dort wurde er 1962 geboren. 1988 gelangten seine ersten Gedichte in den Westen. Seine Vorliebe für lateinische Vokabeln sowie für passende und unpassende Anleihen aus medizinischen und anderen wissenschaftlichen Fachsprachen gefielen Kritikern und Feuilletonredakteuren. Die einen schrieben über ihn viel Halbgares, die anderen druckten seine Gedichte als poetische Tageskommentare.
Der Mediziner und Dichter Georg Büchner promovierte 1836 über „Le système nerveux du barbeau“ („Das Nervensystem des Barben“), und an diesen Titel lehnte sich Grünbein wohl an, als er 1991 einen Gedichtband mit dem Titel „Schädelbasislektion“ herausbrachte. Das brachte ihm 1995 – nach den Gebräuchen des Kulturbetriebs sozusagen zwangsläufig – den Georg-Büchner-Preis ein.