: „Die Begeisterungsstürme in Europa halten sich in engen Grenzen“
Wie die Entwicklungshilfeministerin fürchten Experten das Ende des armutsorientierten Kurses der Weltbank. Dennoch wird sich Berlin zurückhalten, denn Außenpolitik geht vor
BERLIN taz ■ Ausgerechnet Paul Wolfowitz! Experten für Entwicklungspolitik reagieren hierzulande geschockt auf die Nachricht. „Das riecht nach Kurswechsel“, sagte Jürgen Wiemann, stellvertretender Geschäftsführer des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik, der taz. Was sich unter dem amtierenden Weltbankchef James Wolfensohn zum Guten geändert hat, könnte rückgängig gemacht werden.
Wolfensohn hat in seiner zehnjährigen Amtszeit die Finanzbehörde in eine Organisation mit entwicklungspolitischem Anspruch umgemodelt. Dem Vorwurf zahlreicher Nichtregierungsorganisationen, die Bank fälle Entscheidungen hinter verschlossenen Türen ohne Rücksicht auf Umwelt- oder Menschenrechte, begegnete er offensiv: Regelmäßig lud er Kritiker zu Gesprächen ein, ließ Projektdaten auf die Homepage der Bank stellen. Unter Wolfensohn gewann die Armutsreduzierung an Gewicht. Themen wie Schuldenerlass für Entwicklungsländer und die Bekämpfung von HIV rückten nach oben.
Wolfowitz könnte das Ende dieses Reformkurses bedeuten. „Möglicherweise führt er die Bank auf ihre Kernaufgabe als Finanziererin großer Projekte zurück“, fürchtet Wiemann. Mittelfristig könnte Wolfowitz „softe“ Kriterien wie Sozialverträglichkeit und Umweltschutz abschaffen und seinen Stab mit Gleichgesinnten aufstocken.
Weltbankkenner aus regierungsnahen Kreisen fürchten zudem, dass es künftig noch schwieriger wird, als Europäer Gehör am Sitz der Bank in Washington zu finden. Ohnehin hat dort traditionell ein Amerikaner das Sagen – im Gegenzug stellen die Europäer den Chef des Internationalen Währungsfonds (siehe Kasten). Mit der Ernennung des Bush-Gefolgsmanns Wolfowitz könnte die Finanzbehörde aber obendrein wieder stärker zum verlängerten Arm amerikanischer Außenpolitik werden.
„Die Begeisterungsstürme im alten Europa halten sich in engen Grenzen“, kommentierte Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul die Ernennung des Bush-Falken. Die SPD-Politikerin hat zum noch amtierenden Wolfensohn ein enges Verhältnis. Unter deutschen Weltbankexperten heißt es, Wieczorek-Zeul rechne die Läuterung der Bank im Interesse der Armen auch ihrem eigenen Einfluss auf den „lieben James“ zu.
Allerdings dürfte es mit Wieczorek-Zeuls heftiger antiamerikanischer Äußerung so gehen wie mit ähnlichen Statements in der Vergangenheit: Der Bundeskanzler wird im Interesse der gerade wieder aufblühenden deutsch-amerikanischen Beziehungen eine moderate offizielle Sprachregelung vorgeben, und die SPD-Politikerin wird ihre Entrüstung zugunsten der Loyalität zum Kanzler zurücknehmen. Hinzu kommt ein weiterer Grund, warum Schröder um jeden Preis einen neuen Eklat im Verhältnis zu Washington vermeiden will: Deutschland hofft auf einen ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat und braucht dafür die Zustimmung der USA.
Eine Initiative aus Grünen-Parlamentariern will sich davon nicht abschrecken lassen: „Das ist ein Affront gegen Europa, die Entwicklungsländer und alle, die Multilateralismus wollen“, sagt der entwicklungspolitische Sprecher Thilo Hoppe. „Wir fordern Europäer und Entwicklungsländer auf, gemeinsam gegen den Kandidaten der USA zu stimmen.“
Zwar wird in der Regel der US-Vorschlag angenommen, doch hat Washington umgekehrt auch schon einmal einen europäischen IWF-Kandidaten abgelehnt – den deutschen Staatssekretär Caio Koch-Weser (SPD). Theoretisch könnte Wolfowitz mit einfacher Mehrheit gekippt werden. Die USA halten allerdings 16,4 Prozent der Stimmen in der Weltbank, Deutschland hält als drittgrößter Anteilseigner nur 4,5 Prozent.
KATHARINA KOUFEN