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Archiv-Artikel

Inszeniertes Nebenbei

Die Subversion lauert hinter einer Gute-Laune-Fassade: Stereo Total präsentierten ihr neues Album im Postbahnhof

Eine neue Platte von Tocotronic oder Blumfeld kann man nicht einfach übergehen. Man hat sich ihr gegenüber zu positionieren, eine Meinung zu ihr zu haben. Bei Stereo Total ist das anders. Ihre Platten werden eher durchgewinkt, so wie ihre letzte, „Do the Bambi“: hübsch, quietschebunt, voll lustiger Ideen und Sounds, Billigcasio-Klängen und Rumpelbeats, dazu gibt es gelungene Frage-und-Antwort-Spielchen zwischen Sängerin Françoise Cactus und Sänger Brezel Göring. Es ist eine hundertprozentige, durchaus gelungene Stereo-Total-Platte, mehr nicht.

Françoise Cactus und Brezel Göring scheint es bei ihrer gemeinsamen Band eben nur noch um Konsolidierung zu gehen. Die beiden haben ihren Weg gefunden, auch jenseits der Band. Sie schreibt inzwischen Bücher oder strickt Wollpuppen, er ist umtriebig in der Berliner Trashszene und ist glücklich, wenn er mit seinen diversen Projekten Platten in kleinen Auflagen veröffentlichen kann. Die beiden probieren gerne Dinge aus, da wollen sie wenigstens bei ihrer gemeinsamen Band ein wenig Kontinuität.

Ganz ähnlich verhielt es sich dann auch auf dem Konzert im Postbahnhof, wo man die neue Platte vorstellen wollte. Bei der Show war schon alles richtig okay, und sie strahlte den schon sprichwörtlich gewordenen Stereo-Total-Charme aus, doch wenn man nebenbei zu einem Pläuschchen mit seiner Begleitung ansetzte, hatte man nicht das Gefühl, etwas von dem Konzert zu verpassen. Viele schienen das ähnlich gesehen zu haben. Große Teile des Publikums waren kräftig dabei, sich vor allem selbst zu genügen, man quatschte fröhlich vor sich hin, und in den Gesprächspausen guckte man dann gemeinsam nach vorne, um zu sehen, welch lustiges Tänzchen Brezel nun wieder aufführte oder wie sich Françoise gerade ihre ulkige Brille zurechtschob. Ein wenig fühlte man sich wie auf einer Studentenparty mit origineller Showband.

Doch vielleicht ist diese Inszenierung eines Nebenbei gerade die Qualität von Stereo Total. Dass sie nicht, wie etwa Tocotronic, vor allem coole Jungs und hübsche Mädchen ansprechen, sondern ein Publikum, das auch nichts gegen Wir sind Helden einzuwenden hätte. Bei einem Stereo-Total-Konzert geht es für den Zuschauer eben nicht darum, sich einer Herausforderung zu stellen, sondern darum, einfach nur eine gute Zeit zu haben. Vielleicht wird diese Band ja auch schlichtweg verkannt und wird zu wenig gesehen, welches Subversionspotenzial sich hinter ihrer Gute-Laune-Fassade verbirgt. Immerhin war es bemerkenswert, wie der Text des Stereo-Total-Polygamie-Gassenhauers „Liebe zu dritt“ mitgesungen wurde. Oder wie Stereo Total ohne große Tiraden ihr „Europa neurotisch“ anstimmten, in dem es nach eigenem Bekunden darum geht, der grassierenden Michael-Moore-Mania und unreflektiertem Antiamerikanismus etwas entgegenzusetzen und auch Europa zu kritisieren.

Dennoch sollten sich Françoise Cactus und Brezel Göring überlegen, ob es nicht angebracht wäre, einfach mal weniger nett zu sein. Es hätte ja beispielsweise auch einmal gereicht, nur eine Zugabe zu spielen. Doch wahrscheinlich können sie nicht anders: Sie wurden gerufen, also kamen sie, immer wieder. Die beiden können einfach nicht Nein zu ihrem Publikum sagen.

ANDREAS HARTMANN