: SPD grenzt nicht weiter aus
Rot-Grün hat das Antidiskriminierungsgesetz überarbeitet – in Details. Versicherungen müssen Tarife erst 2008 umstellen. Behinderte und Alte bleiben weiter geschützt
BERLIN taz ■ Voller Selbstbewusstsein präsentierte Rot-Grün gestern eine überarbeite Fassung des Antidiskriminierungsgesetzes (ADG). Und viele wollten dabei sein: Justizministerin Brigitte Zypries (SPD) und insgesamt vier Abgeordnete. So war schon optisch klar, dass die Koalition zum ADG steht.
Die zentrale Forderung der Opposition, Deutschland solle die EU-Vorgaben nur „1 zu 1“ erfüllen und nicht darüber hinausgehen, blieb unberücksichtigt. „Wir können in Deutschland mit unserer Geschichte kein Gesetz machen, das die Diskriminierung von Juden und Behinderten erlaubt“, begründete dies Volker Beck, der Verhandlungsführer der Grünen. Die EU verbietet im Geschäftsleben – also im Restaurant, im Supermarkt oder bei einer Wohnungsgesellschaft – lediglich die Diskriminierung wegen der Rasse, ethnischen Herkunft und wegen des Geschlechts. Der rot-grüne Gesetzentwurf weitet diesen Schutz auf fünf zusätzliche Merkmale aus: Behinderung, Alter, sexuelle Orientierung, Religion und Weltanschauung. Dabei soll es auch bleiben.
Immerhin 40 kleinere Änderungen haben SPD und Grüne dennoch vorgesehen. Die meisten dienen nur der Klarstellung, sie sollen Missverständnisse zu vermeiden. „Wir haben jetzt ein Gesetz mit Gürtel und Hosenträgern“, sagte Beck.
Die wichtigste Änderung hatte SPD-Verhandlungsführer Olaf Scholz bereits vor einer Woche im taz-Interview angekündigt. Große Wohnungsbaugesellschaften können künftig trotz ADG bei der Auswahl ihrer Mieter auf eine ausgewogene und „sozial stabile“ Bewohnerstruktur achten dürfen. Im Klartext heißt das: Um ethnische Ghettos zu vermeiden, kann zum Beispiel ein türkischer Wohnungsinteressent abgelehnt werden.
Ein Zugeständnis gab es auch für die Versicherungen. Diese müssen sich bei ihren Tarifen erst ab 2008 ans ADG halten. Solange haben sie noch Zeit, Risikostatistiken zu erstellen, die unterschiedliche Tarife rechtfertigen.
Zumindest psychologische Wirkung hat eine Klausel, nach der ADG-Ansprüche generell binnen sechs Monaten geltend gemacht werden können. „Es gibt zwar keine Dokumentationspflichten bei der Auswahl von Beschäftigten oder Mietern, aber wer aus Angst vor Klagen alles aufhebt, kann die Unterlagen nach sechs Monaten wirklich wegwerfen“, erläuterte Olaf Scholz.
Gestrichen wurde ein Paragraf, der Schadensersatz vorsah, wenn ein Betroffener von Beschäftigten oder anderen Kunden diskriminiert wurde. „Hier gilt nun wieder das bürgerliche Gesetzbuch“, sagt Scholz, „das sagt aber nichts anderes.“
Neue substanzielle Zugeständnisse gab es schon deshalb kaum noch, weil der Gesetzentwurf ohnehin sehr moderat und voller Ausnahmeregelungen war. Letztlich bleibt der Koalition nur ein Spagat: der beunruhigten Wirtschaft wird sie die Neufassung als Entgegenkommen präsentieren und den Betroffenengruppen versichern, dass die Substanz des Gesetzes noch erhalten ist.
Das ADG könnte schon im April im Bundestag beschlossen werden. Die Zustimmung des Bundesrats ist nicht erforderlich. Gefährlich hätte nur ein Einspruch der Länderkammer mit Zweidrittelmehrheit werden können. Nach den jetzt angekündigten Korrekturen wird aber wohl auch NRW-Ministerpräsident Peer Steinbrück nicht weiter opponieren.
Bei ihren Gesprächen am Dienstag haben sich SPD und Grüne jetzt auch über die neu einzurichtende Antidiskriminierungsstelle des Bundes geeinigt. Die ADG-Stelle wird bei Familienministerin Renate Schmidt angesiedelt und soll für alle Betroffenen zuständig sein. Andere Regierungsbeauftragte wie Marieluise Beck (für Migranten) oder Karl Hermann Haack (für Behinderte) können Eingaben nur an die neue Stelle weiterreichen. Diese soll Öffentlichkeitsarbeit betreiben und Konflikte außergerichtlich schlichten helfen.
CHRISTIAN RATH