: Eine Schweinerei, ein Dolch, ein Abschied
Nach dem Rücktritt von Heide Simonis deutet alles auf eine große Koalition hin, die die SPD schon vor einem Monat hätte haben können – allerdings zu besseren Bedingungen
KIEL taz ■ Es war der Tag der Treffen, der Gesprächsrunden, der Gremien – als wäre die Zeit zurückgedreht, als wäre der gestrige 18. März wieder der 21. Februar, der Tag nach dem knappen Wahlausgang. Seit damals hatten die Fraktionen, die Parteivorstände getagt, beraten, abgestimmt, bis SPD, Bündnisgrüne und SSW glaubten, ein Bündnis geschmiedet zu haben. Alles falsch. Ein einzelner Abgeordneter stimmte durch Enthaltung die Pläne seiner eigenen Fraktion nieder – und sorgte dafür, dass Heide Simonis gestern das Handtuch warf.
„Gegen offene Messer zu kämpfen ist nicht leicht, aber in der Politik manchmal notwendig“, sagte sie gestern vor der Kieler SPD-Fraktion. „Gegen einen hinterhältigen Dolchstoß jedoch gibt es keine Abwehrmöglichkeiten.“ So ein Verhalten sei schäbig und rüttelt am Grundvertrauen in die Werte der Sozialdemokratie, betonte Heide Simonis, die vorerst die Regierungsgeschäfte weiterführen wird. Bereits am Morgen, als Simonis kurz zu den Mitarbeitern der Staatskanzlei sprach, war die Abschiedsstimmung zu spüren.
Mit „tiefer Trauer“ aber „Respekt für die Entscheidung“ reagierten die Kieler Grünen auf Simonis’ Ankündigung. „Die Leistungen der Ministerpräsidentin zählten so ungleich mehr als die Feigheit eines geheimen Abweichlers“, hieß es in einer Erklärung. „Ich bin völlig fertig und enttäuscht“, sagte Karl-Martin Hentschel, Grünen-Fraktionssprecher. Über die Gründe des Abweichlers mochte er nicht spekulieren. Wie es weitergeht, hänge von weiteren Beratungen ab. Er hält die alte Lösung weiter für die beste. Der vereinbarte „mutige Koalitionsvertrag“ hätte die notwendigen Reformen auf den Weg gebracht. Auch der SSW steht weiter zum Bündnis: „Es ist das Beste für das Land, sonst hätten wir es nicht gemacht“, sagte Lars Harms. Er und seine Kollegin Anke Spoorendonk hätten „viel erlitten“, sagte Harms. „Wenn man selbst den Rücken gerade hält, ist es bitter, wenn sich einer geheim enthält.“ Doch die Bekenntnisse können nicht darüber hinwegtäuschen, dass die beabsichtigte SPD/Grünen-Minderheitenregierung keine Chancen mehr hat.
Die SPD, in deren Reihen der Abweichler vermutet wird, leidet am meisten. „Ferkelei, und das ist die höfliche Umschreibung“, sagte Fraktionschef Lothar Hay am Donnerstag. Ein „pechschwarzer Tag für die SPD“ sei es gewesen. In der Fraktion wird nun nach dem Schuldigen gesucht, der sich selbst bei einer internen Abstimmung nicht zu erkennen gab. Gestern war die Wortwahl schon schärfer geworden: „Ehrlose Schweinerei“ nannte der Finanzminister Ralf Stegner das Verhalten in einem offenen Brief – den er wohl verfasst hat, weil in der Gerüchteküche Stegners Name als der des Abweichlers hochkochte.
So geschwächt die SPD ist, sie muss den nächsten Schritt tun. Sie könnte dem Wähler den Ball zurückspielen und Neuwahlen ansetzen oder dafür sorgen, dass der jetzige Landtag eine Regierung bilden kann. Neuwahlen schienen gestern keine glückliche Option. „Es ist die verdammte Pflicht der Abgeordneten, eine Regierung zu bilden“, sagte Hentschel. Der Sprecher der FDP, Christian Albrecht, war der gleichen Meinung: „Wir wünschen uns eine stabile Regierung für Schleswig-Holstein, und das ist nach der Lage der Dinge eine große Koalition. Das ist zwar bitter für uns, aber realitätsnah.“
Dass das rot-grün-blaue Bündnis in einem fünften, sechsten oder zehnten Wahlgang gewinnt, scheint unwahrscheinlich – außer, der Abweichler wollte Heide Simonis persönlich treffen und würde mitstimmen, wenn ein anderer antritt. Ebenso unwahrscheinlich sind andere Ampelfarben: Ein Gesprächsangebot der SPD an die FDP gab es gestern nicht, es müsste auch warten: Der liberale Fraktionsführer Wolfgang Kubicki geht erst einmal in Urlaub. Also bleibt die große Koalition. „Die Türen sind offen“, betont der Spitzenmann Peter Harry Carstensen. Spätestens bei den Gesprächen wird sich zeigen, dass der Februar vergangen ist: Nach der Wahl hätte die SPD aus deutlich stärkerer Position verhandeln können als jetzt.
ESTHER GEISSLINGER