schim- an- eck
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Wanderrattenwitchcraft

Nachdem ich mehrfach in meinen Wohnungen von Kondo-Gangs ausgeraubt worden war, mietete ich mich zum Schluss meines Uganda-Aufenthaltes in einem soliden Doppelhaus ein, das wohl in den zwanziger Jahren von Schweizern errichtet oder doch zumindest mitfinanziert worden war. Denn wenn ich von meinem Flat unter das überhängende Dach schaute, konnte ich auf den Dachpfannen einen großen Aufdruck lesen: Spende der Baseler Mission 1923. Und zwar auf jeder Pfanne. Viele tausend Mal.

Das Interieur war schlicht und einnehmend. Die wuchtigen eingemauerten Mvule-Eisenholzschränke verliehen zusätzlich barockes Flair. Alle Fenster hatten robuste Drahtgitter, so dass ich mich gegenüber Fledermausdurchflügen und ähnlichen Attacken auf mein Privatleben in Sicherheit wiegen durfte. Die Kitchen mit separaten Aufgang. Das Quarter für Francis, meinen Houseboy msuri Asana. Das Hausportal durch Scherengitter gesichert. Alle Etagentüren mit Steck-, Vorhänge-, Sicherheits-, Zahlen- und Alarmschlössern. Ich war in Abrahams Schoß gefallen.

Eines Nachts wurde ich von heftigen Trippelgeräuschen vom Dachboden über mir aus dem Schlaf gerissen. Ich schoss aus dem Bett hoch und hielt den Atem an. Genau konnte ich ausmachen, woher die Geräusche kamen. Mal von links. Mal von rechts. Dann im wilden Galopp die gesamte Bodenlänge entlang. Dann alles wieder zurück... Ja, was war das? Hatte sich enventuell eine Affenhorde aus dem nahen Forest auf dem Boden verlaufen? Oder schlimmer noch und gar nicht mal unüblich, befand sich eine Black Mamaba family auf Mäusejagd? Na, wie auch immer. Mir konnte keiner was, bei diesen fabelhaften Drahtgittern vor den Fenstern. Beruhigt schlief ich wieder ein.

Noch vor dem heißgeliebten Early morning tea klopfte ich bei meinem ugandischen Nachbarn an, um mich zu erkundigen, ob er auch den nächtlichen Radau gehört habe und was das wohl gewesen sein könnte. Ha, hahaa, lachte er, natürlich. Ratten waren das, Sir, afrikanische Wanderratten. Das sind keine dicken, gemütlichen Hausratten wir bei euch in Europa. Dies sind echte Raptor-Monster. Die springen fünf Meter weit, klettern glatte Wände hoch, nagen Kinder im Schlaf an und sind nur durch Feuer zu besiegen, wenn überhaupt.

Aber, aber unterbrach ich, warum heissen die denn Wanderrattten, wenn sie ausgerechnet auf unseren Boden Station bezogen haben? Jolly good question, antwortete er. Weshalb wohnen wir denn hier im Haus? Ich vermute, weil es uns hier gefällt. Und den Ratten genauso. Oder hätten Sie die lieber überall frei rumrennen? Nene, bloß nicht, sagte ich, entschuldigte mich für die frühe Störung und wünschte a good day.

Und dann eines Tages, als ich mich auf den Schreibtisch setzte, entdeckte ich neben der Schreibmaschine ein gelbes, angenagtes Seifenstück aus dem Bathroom. Ja, wie kam das denn hierher? Wer trug denn in meiner Wohnung Seifenstücke herum und fraß sie auch noch an? Plötzlich begann ein unheimlicher Wecker in mir zu ticken. Sachte, sachte erhob ich mich und checkte auf Zehenspitzen meine ganze Wohnung nach weiteren Spuren ab. In der Kitchen endeckte ich sie. Der Fußboden war weiß von Mehl mit vielen kleinen Trippelspuren und Kotresten. Eine angenagte Mehltüte hing schlaff von der Anrichte herunter. Die Sachlage war klar. Großalarm. Ich riss das Fenster auf und schrie zu Francis herüber: Hey Bwana, come, come! We have a rat in the flat!

Wir sicherten uns gegen Bisse mit Handtüchern unter Jeans und T-Shirt, zogen Tauchbrillen auf und bewaffneten uns mit Knüppel und Panga. Dann war die Jagd eröffnet. Doch nach einer Stunde sorgfältigem Checkup einschließlich Möbelabrücken und Ritzenprockeln hatten wir noch keine Rattenspur ausgemacht. Vielleicht hatte sie sich ja auch längst wieder auf den Dachboden zu ihren Comrades verzogen. Doch dann plötzlich, völlig unvermutet, hoppelte sie kackfrech zwischen unseren Beinen hindurch in Richtung Kitchen. Wir im Schweinsgalopp hinterher und sahen gerade noch, als sie unter dem wuchtigen, in die Wand eingemauerten Küchenschrank verschwand.

Wie da jetzt drunter wegkriegen. Wir prockelten und stocherten mit Lärm, List und einer funzeligen Taschenlampe. Meinten wir sie eräugt zu haben, war sie auch schon spurlos wieder weg. Die reinste Hexerei. Da erinnerte ich mich, was der Nachbar mir gesagt hatte. Ich eilte an den Werkzeugkasten, holte den Lötkolben hervor, zündete ihn und dann Feuer marsch! Im Nu entwickelte sich ein echter Hausbrand, der nach und nach den gesamten Schrank ergriff. Ich hielt noch so lange drauf, bis ich überzeugt war, dass von der Ratte nix mehr übrig sein konnte, dass die komplett hinüber war. Dann hieß es Wasser marsch! Aber mit ein paar vollen Eimern wurden wir schnell Herr der Situation. Während der dichte Qualm abzog, begaben wir uns in den Sittingroom und kakelten bei Unganda Tea und selbst fabriziertem Eierlikör auf Waragi-Basis das gesamte Jagdprozedere im Einzelnen durch, wobei wir nicht mit Lob für unsere tapfere Verliererin sparten.

Ein knappes Jahr später hieß es, Uganda kwa heri zu sagen. Dabei musste ich auch einen hohen Stapel Transtel-Filme entsorgen, die von Uganda Television als ungeeignet abgelehnt worden waren. Als ich die unterste Blechdose aufhob, machte ich erschreckt einen Satz zurück. Da lag eine Ratte, völlig dehydriert, flach wie eine Käserinde mit höhnisch bleckendem Grinsen und angekokelter Schwanzspitze. Es war unsere Ratte. Wie ihr nach der Feuersbrunst die Flucht in die hinterste Wohnungsecke gelungen war und woher sie noch die Kraft gehabt hatte, sich unter die Filmdose zu quetschen... Ich konnte es mir beim besten Willen nicht erklären. O du wunderbare Wanderrattenwitchcraft...

Das war‘s, liebe Leserinnen und Leser. Nächstes Mal erzähl ich eine Geschichte von einer dicken, gemütlichen Hausratte, die mir eines abends beim Fernsehgucken aufs Sofa jumpte.

JÜRGEN SCHIMANEK