: Die ersten Vorboten einer Flut
Sozialbehörde wundert sich: Bagis verschickt die ersten Umzugsaufforderungen an ALG II-Empfänger. Sachbearbeiter raten zum Widerspruch. Betroffene sind wütend. Sie fürchten den Verlust ihrer Lebenszusammenhänge
bremen taz ■ „Ich bin wohl der Erste, der umziehen soll.“ So wertet der arbeitslose Bremer Michael Kunkel* das Schreiben der Bagis, das ihm zum Thema „Ihre Unterkunftskosten“ am 23. Februar in Haus flatterte. Denn der Ergotherapeut Kunkel hatte Presseberichten vertraut, wonach Arbeitslosengeld II-BezieherInnen bis Mitte des Jahres nicht zum Umzug aufgefordert würden. Das hatte Sozialsenatorin Karin Röpke (SPD) im Dezember auch gegenüber der taz bestätigt. Doch inzwischen ist Kunkel längst nicht mehr der Einzige, der just ein solches Schreiben bekam. Entsprechend irritiert reagiert der Sprecher der Sozialbehörde, Klaus Krancke: „Die Absprache war, dass die Bagis keine Umzugsaufforderungen bis zur Jahresmitte verschickt.“
IG Metall-Mitglied Kunkel hat sich inzwischen an die Rechtsberatung der Gewerkschaft gewendet und erfahren, dass die Aufforderung an ihn nicht einmal ein widerspruchsfähiger Bescheid ist. Auch wenn darin steht, dass er bis zum 30.6. eine billigere Wohnung gefunden haben soll, weil ihm andernfalls künftig nur noch das Single-Mietgeld von 245 Euro erstattet würde – ein herber Schlag.
„Ich zahle jetzt 337 Euro Miete – und wüsste nicht, wo ich was Billigeres herkriegen soll“, sagt der Arbeitsuchende. Zeitungen hat er schon gewälzt und erwerbslose Freunde gefragt – von denen aber keiner weniger zahlt. Dass er als Ergotherapeut schnell genug eine Stelle findet, glaubt Kunkel nicht. „Da kommen hundert Bewerbungen auf eine offene Stelle“, hört er jedes Mal, wenn er hinter einer hertelefoniert. Vermutlich sei er der Bagis aufgefallen, weil er seit kurzem zwei Euro mehr Miete pro Monat zahlt – und dafür einen Aufschlag beantragt hatte.
Bei Jürgen Gerke liegt der Fall etwas anders. Seit Jahren lebt der trockene Alkoholiker in dem Einzimmer-Appartement einer Wohnungsbaugesellschaft in der Neustadt. Vom Sozialamt finanziert. Ärger wegen der Miethöhe gab es nie. Doch jetzt steht im Bagis-Brief: „Ab dem 1.8.05 werden nur noch die angemessenen Kosten übernommen.“ Statt der 284 Euro seien das 245. Gerke suchte bei der unabhängigen Erwerbslosenberatung Agab Rat. Auch er erfuhr, dass dieser Brief kein widerspruchsfähiger Bescheid ist. Für ihn macht es das nicht besser. Gerkes größte Sorge ist auch nach 15 Jahren Abstinenz der Alkohol. „Ich brauche meine sichere Wohnung und meine festen sozialen Bezüge“, sagt er.
Zur Beratungsstelle Agab kommen inzwischen immer mehr Menschen, die „Umzugs“-Briefe bekommen haben – und oft gar nicht verstehen, was sie genau bedeuten. „Das fiel uns anfangs auch schwer“, sagt Agab-Mitarbeiterin Gitta Barufke. Immerhin liegt ihr das Protokoll einer gemeinsamen Sitzung von Bau- und Sozialdeputierten von Dezember vor. Das enthält die Zusicherung von Senatorin Röpke, „dass es in den ersten sechs Monaten des Jahres 2005 keine Aufforderung an Betroffene geben wird, wegen unangemessener Mietkosten die Wohnung aufzugeben oder nach einer preisgünstigeren Alternative zu suchen.“
Der Entscheidung zugrunde lag damals, dass niemand in Bremen wusste, welche Mieten ALG II-EmpfängerInnen derzeit überhaupt zahlen – und wie viele wegen der Angemessenheitskriterien zum Umzug aufgefordert werden müssten. Weitere Entscheidungen vertagten die PolitikerInnen deshalb. Sie wollten im März anhand fortgeschriebener Mietkostendaten über die künftige Richtung entscheiden. Doch während die Bagis schon Briefe verschickt, fehlt den PolitikerInnen immer noch die Handlungsgrundlage. Mit der bundesweit verwendeten Software der Bagis jedenfalls lassen sich die nötigen Durchschnittswerte bis auf Weiteres nicht errechnen, bestätigt Bagis-Vize Eckard Lange. Auch wenn Entwickler auf Druck des Städtetages unter Hochdruck an Nachbesserung arbeiteten.
Der Bremer Bagis-Chef Thomas Schneider kann an den Vorgängen wenig Problematisches erkennen. Nach seiner Lesart bedeuten die Absprachen vom Dezember nur, dass Betroffene nicht vor Juli umziehen müssten. Das entspreche doch ungefähr dem Inhalt der Briefe. ede