„Kampflesben“

GENDER-HAPPENING Eine Tagung in Berlin queert viele Stereotype – ein Training im Selbstversuch

Sind die Jungs jetzt Avantgarde oder einfach nur schlimm verwirrt? Ihre Workshop-Aufgabe ist, eine männliche und eine weibliche Figur zu malen und ihnen Eigenschaften zuzuordnen. Da stehen nun zwei verlegen lächelnde Wesen auf dem Papier, beide haben einen Bart und Brüste. Und statt banaler Eigenschaften steht da „Performanz“, „Gender trouble“ und „Subversion“. Au weia.

„Gender is happening“, so hat die Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin eine Tagung vergangene Woche genannt, in der die Geschlechter mehrfach durchquert wurden: Filme, Performances und Panels von Porno bis Weltwirtschaft.

Der Charme des Gender-Ansatzes

„Ihr habt echt schon viel weitergedacht“, bewundert eine Teilnehmerin die Jungsgruppe eines Workshops. Eine andere dagegen schüttelt den Kopf: „Ihr ignoriert alles, was da ist: die Stereotype, die biologischen Unterschiede. Für mich sieht das aus wie Männer, die sich gendermäßig anbiedern wollen.“ Mit Stereotypen wartete eine andere Gruppe auf: Die Frau steht auf einem Podest, trägt Gucci, redet ununterbrochen und hat viel Herz und Liebe. Der Mann dagegen ist in seinem Anzug festgewachsen, wirkt weitblickend, rational und stark. „Ich bin beides“, sagt eine Frau. „Mich stößt beides ab“, eine andere. Ein Mann findet die Klischeefrau furchtbar, ein anderer vermisst die weiblichen Eigenschaften bei sich selbst. Ach.

Das ist der Charme des Gender-Ansatzes. Er öffnet die Blicke beider Geschlechter auf sich und auf den anderen. Er zeigt, dass Feministinnen manchmal die größten Klischeebildnerinnen sind – und dass Männer sich in der ihnen zugedachten Haut oft auch nicht besonders wohlfühlen. „Aber“, wirft Gendertrainerin Angelika Blickhäuser ein, „es gibt eben gesellschaftlich auch eine Hierarchie zwischen diesen stereotypen Eigenschaften.“

Die begegnet Blickhäuser und ihrem Co-Trainer Henning von Bargen vor allem in Behörden und Unternehmen, die sie beraten: „Wir sind doch so aufgeschlossen!“, beteuern Personalchefs und erklären, dass sich eben mehr Männer für Führungsjobs anbieten. Die seien durchsetzungsfähiger.

Der große männliche Auftritt mit Sprechblase wird automatisch höher gewertet als der leisere der Frauen, die sich oft dennoch und nachhaltiger durchsetzen. „Unser Job ist es, das Denken wieder zu öffnen“, sagt Blickhäuser. „Die Leute sollen sich ihrer Erwartungen bewusst werden und genau hinsehen“. Allzu oft werde generalisiert: „Ich hatte mal eine Chefin, die war furchtbar“, heißt es dann etwa.

Pornos und Zensur-Emanzen

Zuschreibungen. Doing Gender. Das Geschlecht erst herstellen durch die Art, wie man denkt und handelt, das ist immer wieder zu beobachten beim Gender Happening. Die Bloggerkonferenz „Re:publica“ sei voller „männlicher Platzhirsche“ gewesen, beschwert sich eine Bloggerin des Webportals „Mädchenmannschaft“ im Salon über „Feminismus on- und offline“.

Eine andere fragt, ob es relevant sei, wenn Frauen übers Marmeladekochen bloggten. Das aber ist auch wieder ein Vorurteil. Allround-Bloggerin Theresa Bücker nämlich, die die Netzwelt des Freitag betreut, wurde als Teilnehmerin eines Podiums abgelehnt, „und zwar wörtlich: weil ich nicht Klischee genug sei“. Modebloggerin Mary Scherpe von „Stil in Berlin“ empfiehlt, Re:publica als Männerveranstaltung zu ignorieren – eine Garantie, dass es eine solche bleibt.

Wilde Zuschreibungen auch beim Thema Porno: Der alte Feminismus habe keine Vorstellung von offensiver weiblicher Sexualität gehabt, postuliert Philosophin Svenja Flaßpöhler. Stattdessen hätten die Zensuremanzen sich ihre eigenen sexuellen Fantasien untersagt, da nicht pc genug. Viel interessanter sei doch, was Porno, auch der frauenfeindliche, als Symptom über die Gesellschaft aussage. Warum man das Symptom nicht trotzdem kritisieren dürfe, fragt das Publikum dagegen. Und die „sexpositiven“ Feministinnen, die auch „alter Feminismus“ sind, aber pro Porno, werden einfach unter den verschlissenen PorNO-Teppich gekehrt? Auch nicht schön.

„Hier toben sich doch nur perverse Kampflesben aus!“, hat einer ins Gästebuch geschrieben. Gegenüber strömen gerade die Besucherpaare aus dem Deutschen Theater. „Gender is …“, mit deutschem „G“ buchstabiert neugierig die ältere Frau den Schriftzug an der Fassade der Böll-Stiftung. „Gender“, brummt der Mann, auch mit deutschem „G“, und behauptet zackig: „Also Gender, das ist ein absoluter Blödsinn.“ HEIDE OESTREICH