: Mit Mohammed in der Kita
In Mainz wurde der erste islamische Kindergarten von Rheinland-Pfalz eröffnet. Kritiker sehen in den bunten Räumen eine Parallelgesellschaft heranwachsen und diskutieren heftig: Muslimische Früherziehung, muss das sein?
■ In Deutschland gibt es etwa 28.000 Kindergärten, von denen etwa 4.000 evangelische und 4.270 katholische und 10 islamische Einrichtungen sind. In diesen Kitas werden 1,9 Millionen Kinder betreut, von denen etwa 450.000 Muslime sind. Der Anteil muslimische Kinder in kirchlichen Einrichtungen beträgt 17 Prozent und in kommunalen Kindergärten 27 Prozent.
VON CIGDEM AKYOL
Das Plakat am Eingang erzählt schon einen Teil der Geschichte: Eine junge Blondine strahlt, unter ihr der Slogan „Damit Mainz unsere Heimat bleibt“. Es ist ein Poster der Republikaner, das vor der „Al Nur“-Kindertagesstätte steht – der ersten islamischen Kita in Rheinland-Pfalz. „Die wollen uns ärgern“, glaubt Britta Haberl, die Leiterin der Einrichtung. Die Kita ist in der Stadt zu einem Politikum geworden. Die unsachliche Diskussion, die darüber entbrannte, ist beispielhaft für ganz Deutschland. Denn beim Thema Islam verlieren Kritiker nicht selten eine gewisse Grundhöflichkeit, Differenzierungen werden gemieden. Den moderaten Islam gebe es nicht, heißt es dann gerne.
Deswegen fällt es Haberl schwer, ihren Unmut und ihr Misstrauen zu verbergen. Als Leiterin muss sie sich den verbalen Angriffen stellen und es gleichzeitig vielen recht machen. Angreifer – und davon gibt es viele – sehen in den bunten Räumen und hinter den Bauklötzchen eine Parallelgesellschaft heranwachsen. Als der Kindergarten eröffnet wurde gab es Schmähbriefe. Haberl ist Deutsche, sie wuchs in Berlin auf. Die Biologin konvertierte zum Islam, trägt ein Kopftuch. Die Medien meidet sie weitestgehend. Zu schlecht seien die bisherigen Erfahrungen mit Journalisten gewesen, sagt sie. Außerdem wolle sie die Kita schützen, und erlaubt deswegen auch nicht, dass man mit den Kindern, Eltern oder der Erzieherin redet.
Mehr als zwei Jahre lang wurde über das Thema gestritten, bevor die Kita am 1. Februar für die ersten elf Kinder öffnete. Deren Eltern kommen aus der Türkei, Ägypten, Syrien und dem Libanon. Der arabische Arab-Nil-Rhein-Verein, 1998 gegründet, hatte als Träger im vergangenen Jahr sein Konzept geändert, um die Auflagen des Jugendamtes zu erfüllen. Mit einem pädagogischen Programm, das von einem wissenschaftlichen Beirat begleitet wird, soll neben der Ausübung der eigenen Religion besonders die Integration der Kinder gefördert werden. Die Kinder werden nicht nach Geschlechtern getrennt, kein Mädchen trägt eine Burka, die Jungs verprügeln niemanden. Islamisch, das bedeutet hier nicht den Koran studieren – islamisch bedeutet im „Al Nur“, dass die Schützlinge neben Märchen der Brüder Grimm auch Prophetengeschichten über Mohammed lauschen. Es gehe ja nicht nur um religiöse Bildungsziele, betont Haberl, viel eher um die Chancengleichheit. Viele Migranten bekämen nach der Grundschule eine Hauptschulempfehlung, das sei ungerecht, eine Fehleinschätzung, sagt Haberl. In regelmäßigem Abstand wird deswegen Hans Reich, Professor an der Universität Landau, die Deutschkenntnisse der Kleinen testen.
Voraussetzung für die Mitarbeiter ist die perfekte Beherrschung der deutschen Sprache, das wird im Kita-Konzept betont. Ungeschrieben ist die Voraussetzung, dass Erzieherinnen muslimischen Glaubens sein müssen. „Sie sollten in der Lage sein, den Kindern islamische Glaubensinhalte und Verhaltensweisen zu vermitteln und vorzuleben“, erklärt Haberl, „die Kinder sollen eine islamische Identität entwickeln können.“ So wird auf die islamischen Speisevorschriften geachtet, werden muslimische Feiertage und Feste gefeiert. „Die Kleinen müssen bei uns spüren, dass sie mit ihrer Religion vorurteilsfrei angenommen werden.“
Religiöse Früherziehung, muss das sein? Und sollen Kinder mit einem Migrationshintergrund abgeschnitten von der Mehrheitsgesellschaft lernen? Fördert dies nicht eher die Isolation statt die Integration? Ach ja, stöhnt Haberl, „die Parallelgesellschaft gibt es ja schon und wir versuchen, die etwas aufzulockern. Wir möchten unsere Kinder auf ein gleichberechtigtes Leben in einer multikulturellen Gesellschaft vorbereiten.“ Aber die Mehrheitsgesellschaft mache ihnen dieses Vorhaben nicht immer leicht. Platz ist für 25 Kinder, auch Nichtmuslime sind willkommen, sagt Haberl. Doch glaubt sie nicht daran, dass die in naher Zukunft kommen werden. Sie erzählt von einem Kinderbazar, der groß angekündigt wurde. „Aber es sind nur wenige Nichtmuslime gekommen“, sagt sie enttäuscht. Warum? „Die Leute haben Hemmungen, in eine islamische Einrichtung zu gehen.“
Die Mainzer SPD, die Grünen und der Stadtelternausschuss standen dem Projekt positiv gegenüber. Karsten Lange, Vorsitzender der CDU Neustadt, hatte sich bei der Bekämpfung der Einrichtung besonders hervorgetan. Den wissenschaftlichen Beirat bezeichnet der Christdemokrat als „unglaublichen Etikettenschwindel“: „Der besteht nur aus erklärten Befürwortern der Islam-Kita. Gegner oder unvoreingenommene Wissenschaftler sind im Beirat nicht willkommen.“ In einer Pressemitteilung betonte er: „Mainzer Islamisten wollen ihre Kinder in Eigenregie erziehen.“ Sogar eine Unterschriftenaktion gegen die Kita war im Gespräch. Die Republikaner begrüßten die Aktion. Sie warnten vor „undemokratischen Strukturen“ und einem „unglaubwürdigem Verhältnis zum islamischen Extremismus“.
Zu den Auflagen des Jugendamts gehörten auch feste Kontakte zu nichtmuslimischen Kindertagesstätten und die Distanzierung von extremistischen Tendenzen. Der Verein bekennt sich zum Rechtsstaat, zur Demokratie und der hiesigen Werteordnung. Ganz unpolitisch geht es dann aber doch nicht zu: Ein Link auf der Vereinshomepage führte einst auf die Internetseite eines umstrittenen islamischen Rechtsgelehrten, der angeblich Selbstmordattentate billigt und die Beschneidung von Mädchen unterstützt. Nachdem sich die Gegner in ihren Befürchtungen über die Gründung einer frühkindlichen islamistischen Kaderschmiede bestätigt sahen, wurden alle Verweise auf andere Homepages gestrichen. Auf dem Internetportal muslim-markt.de ist die Stelle für eine Erzieherin ausgeschrieben. „Über das Portal wird – direkt oder indirekt – antizionistische und antiisraelische Propaganda verbreitet“ – zu lesen im Verfassungsschutzbericht 2005. Und unter dem Stichwort „Gaza“ konnte im Februar eine Bildergalerie mit Fotos von Kindern, die durch israelische Bombenangriffe getötet wurden, durchgeklickt werden. Haberl weiß, dass man sich mit solchen Aktionen nicht vertrauenswürdig macht, „aber wir mussten angesichts dieser Ungerechtigkeiten reagieren“, sagt sie.
Es geht auch sachlicher
Kurz hinter der rheinland-pfälzischen Landesgrenze, in Baden- Württemberg, wollen Muslime auch eine Kita gründen – doch anders als in Mainz werden die Bedenken in Mannheim nicht so unsachlich formuliert. Der Mannheimer Dachverband der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion (Ditib) plant die Einrichtung seit drei Jahren und gründete eigens den „Verein zur Gründung und Erhaltung muslimischer Kindergärten“. Unterstützung gibt es vom Städtetag, der SPD, den Grünen undBaden-Württembergs Integrationsbeauftragten Ulrich Goll (FDP). „Wir leben längst in einer Einwanderungsgesellschaft“, meint er, „da ist es doch nur eine natürliche Entwicklung, dass Muslime auch Kindergärten und Schulen betreiben.“ Die Pläne werden hier als Brücke gesehen – und nicht als Abgrenzung.
„Das Gefühl, nicht erwünscht zu sein, kennen wir hier nicht“, sagt Faruk Sahin, Mitglied der Initiative. Er erklärt sich die Ruhe mit der riesigen Yavuz-Sultan-Moschee, die seit 1993 im Stadtteil Jungbusch steht – neben einer katholischen Kirche. Ganze Straßenzüge befinden sich drumherum, mit orientalischen Lebensmittelgeschäften und Boutiquen, in deren Schaufenstern die neueste Kopftuchmode ausgestellt wird. In Jungbusch soll auch mal die Kita stehen.
Die ablehnende Haltung der CDU und der Jungen Union nimmt Sahin nicht ernst. „Die wollten Stimmen für die Europawahlen einfangen“, glaubt er, „aber es hat ihnen nicht wirklich viel gebracht.“ Demnächst wird der Antrag für die Gründung der Kita im Jugendhilfeausschuss entschieden.
In Berlin hatte es im vergangenen Jahr heftige Diskussionen vor der Eröffnung der islamischen Kita „Morgenland“ gegeben. Weil dem früheren Vorsitzenden des Trägervereins vorgeworfen wurde, mit Islamisten zu sympathisieren und volksverhetzende Texte ins Internet gestellt zu haben, genehmigte das Landesjugendamt das Projekt zunächst nicht. Zwar stritt er die Vorwürfe ab, für die Islamexpertin Claudia Dantschke war das aber nur ein taktischer Schachzug, mit der die Genehmigung für die Kita erreicht wurde. Als der Verdächtige abtrat und sein Vater den Posten übernahm, gab es eine Betriebserlaubnis.
Unterstützung von der NPD
Seit Mai 2008 besuchen 45 Kinder die Kita und werden von vier Erzieherinnen betreut. Mitarbeiter des Jugendamtes dürfen jederzeit und unangemeldet Kontrollen durchführen.
Der Berliner Landesverband der NPD hat sein Unbehagen im August 2008 auf eine aussagekräftige Kurzformel gebracht: „Die Schaffung einer Kita für Ausländer kommt unserer Forderung nach eigenen Schulklassen für Deutsche nahe.“ Und: „Sich über eine islamische Kita zu erhitzen, ist falsch. Denn die Menschen sollen ihre Kultur pflegen und behalten. Sie sollen ja auch irgendwann in ihre Heimat zurückkehren!“