: Die Freiheit liegt hinter Gittern
Camouflage in der Markenstadt: Der Architekt Friedrich von Borries analysiert in seiner Studie „Wer hat Angst vor Niketown?“, wie sich die Firma Nike in der Stadt einnistet
Nike? Da war doch was. Ja, vor einigen Jahren, so 1998, wurde ich von Trendscouts angesprochen, die sich im Auftrag von Nike in Berlin kundig machen sollten. Ich wurde bei einem Kaffee über dies und das ausgefragt, man interessiere sich halt für Berlin, hieß es. Ich half gern. Wie ich weiß, halfen viele, JournalistInnen, ClubbetreiberInnen, coole Leute oder zumindest solche, die sich für ganz schön cool hielten.
Kurze Zeit später wurde die Stadt vom Nike-Virus heimgesucht, es fraß sich über die Bolzplätze und auf die Brache, auf der vorher das voreilig abgerissene Stadion der Weltjugend stand, es war mit Plakaten präsent und in Clubs. Und zugleich eröffnete Niketown im alten Westen, dort, wo das Geld sitzt (das man im Osten bei den Galeristinnen und DIY-Leuten ja nur ausgeben kann), ein Palast für den Turnschuh, ein Palast vor allen Dingen fürs Turnschuhmarketing.
Friedrich von Borries, Architekt und Erforscher der Alltagskultur, legt nun seine Studie „Wer hat Angst vor Niketown?“ vor, in der er untersucht, wie sich Nike in der Stadt einnistet und wie die Logo-Lobby dabei urbane Strategien für sich usurpiert. Von Borries’ Studie hat viele Strategien der Nike-Leute noch einmal genau aufgelistet und analysiert, von der Bolzplatzkampagne („Die Freiheit liegt hinter Gittern“) bis hin zu Clubs wie dem Presto und der WBM-Bar, die Nike entweder selbst initiierte oder aber sponserte. Das es zum „Nike-Palace“, einer kurzzeitigen Okkupierung des Palastes der Republik nicht kam, erläutert von Borries ebenfalls eingängig.
Vor allem aber ist es aufschlussreich, seine Anmerkungen zur Camouflage-Taktik bei Nike, also zu dezenter, kaum bemerkbarer Logo- und Produktanpreisung, zu lesen: „Camouflagen dringen in den Quellcode der Subkultur der Zielgruppe. Dabei verschwinden die Grenzen zwischen der künstlichen Marketingstrategie und der Alltagswelt der Zielgruppe. Bleiben wir beim Bild des Quellcodes, so agiert das Camouflage-Marketing wie ein Virus, der das Script des Quellcodes beeinflusst, manipuliert. Das Marketing verlässt den Raum der Werbung, der Fiktion, der nicht-erfüllbaren Versprechen und entert die Realität, ja, schafft neue Realitäten.“
In Absätzen wie diesen tut sich zugleich das Problem der Studie auf. Zwar stellt von Borries treffend eine Analogie zwischen den Nike-Vorgehensweisen und den Ideen der Situationisten her – er nennt dies „Corporate Situationism“ –, doch eignen sich diese Vergleiche nur bedingt. So empfiehlt er Architekten, die nicht zum „Traummeister“ einer „Markenstadt“ verkommen wollen, „exzessive Gewissenlosigkeit“. „Um sich seinerseits der Methoden des Marketingstrategen zu bemächtigen, muss er Counter-Camouflage betreiben.“ Auf diese Weise würde er zu einem Radikalopportunisten, der nun wiederum dort jene „Temporäre Autonome Zone“ schaffen könne, wo zuvor die Marketingstrategen Alternativen anboten.
Das mag stimmen, wenn Einkaufen ein Erlebnis und eine Eigenschaft ist (wie manche behaupten: „Girls shoppen nun mal gern“), funktioniert aber nur in einer Gesellschaft des Wohlstandes. Das Problem an von Borries’ Kritik ist es, dass er – wie er selbst einräumt – den Bereich des Konsumdenkens nicht verlässt, also kulturalistisch argumentiert. Das aber stört die Ökonomie dann letztlich doch herzlich wenig, denn sie wird nicht in ihren Grundfesten berührt. In der Krise nämlich wäre die „Markenstadt“ sich selbst überlassen, die Unternehmen hätten Dringlicheres zu tun. Dennoch lohnt die Diskussion dieser Thesen. Denn von Borries bleibt nicht der öden Globalisierungskritik verhaftet. JÖRG SUNDERMEIER
Friedrich von Borries: „Wer hat Angst vor Niketown?“. Episode Publishers Rotterdam 2004, 17,50 €. Diskussion: heute, 20.30 Uhr, Pro qm, Alte Schönhauser 48, Mitte