BETTINA GAUS über FERNSEHEN
: Fast wie im richtigen Kino

Bei der Berichterstattung über die Komapatientin Terri Schiavo verlieren die privaten TV-Sender jede Scham

Feste in Berlin, auf denen Medien und Politik zusammentreffen, können sehr lustig sein. Praktisch sind sie allemal, jedenfalls für Reporter. Bei keiner anderen Gelegenheit lassen sich in so netter, entspannter Atmosphäre mal eben ein paar Zitate abgreifen zu irgendeinem Thema, das gerade Schlagzeilen macht. Beispielsweise der Fall der Komapatientin Terri Schiavo, über deren Recht auf Leben oder Tod derzeit Familie, Gerichte und Politiker in den USA streiten.

Was er denn davon hielte, wollte ein RTL-Team mit vorgehaltenem Mikrofon von Michael Glos wissen, während die Umstehenden auf der Feier anlässlich der 1.000. Sendung von Sandra Maischberger bei n-tv am Prosecco nippten und Häppchen naschten. Der CSU-Landesgruppenchef, zu seiner Ehre sei es gesagt, reagierte verdattert. Es war unübersehbar, dass er fand, dies sei der falsche Ort und die falsche Form für eine derartige Frage. Was die RTL-Leute nicht weiter anzufechten schien. Sie machten Jagd auf ihr nächstes Opfer. Den Berliner Bürgermeister Klaus Wowereit.

Was für ein Stoff! Durch trockene Nachrichtensendungen weht in diesen Tagen ein Hauch von Hollywood. Ein Drama im richtigen Leben, ganz wie auf der Leinwand. Spannend. Wie geschaffen für schnelle Meinungsumfragen. 83,7 Prozent der Anrufer befürworteten in einer TED-Umfrage von Sat.1 im Fall von Terri Schiavo die Sterbehilfe. 16,3 Prozent waren dagegen. Das ist ein sehr viel klareres Ergebnis, als es die letzte Umfrage erbrachte, bei der es um Fußball ging. „Nach der CL-Auslosung: wie weit kommen die Bayern?“ 41,6 Prozent votierten für „Triumph“.

Es ist vermutlich nicht einmal Zynismus, der sich in dieser Art der Programmgestaltung und den bereitwilligen Zuschauerreaktionen darauf offenbart. Sondern lediglich Fantasielosigkeit. Nichts scheinen sich die Leute in diesem Zusammenhang vorstellen zu können: nicht den verzweifelten Wunsch von Angehörigen, einen Komapatienten mit liebevoller Zuwendung auf irgendeine Weise doch erreichen zu können. Nicht die quälende Ratlosigkeit angesichts der auch von Ärzten und Pflegepersonal nicht mit letzter Sicherheit zu beantwortenden Fragen, was und wie viel solche Kranken empfinden. Ob auch ein Mensch mit irreparablen Hirnschäden es spürt, wenn Vater, Tochter oder Ehepartner ans Bett treten. Und sich freut. Oder ob er an seiner Existenz leidet. Und wodurch ein Mensch sich eigentlich als solcher definiert.

Eindeutig richtige oder falsche Antworten gibt es in diesem Zusammenhag nicht, was die Angelegenheit für die Betroffenen nicht leichter macht. Ein Schicksal wie das von Terri Schiavo und ihrer Familie kann alle treffen. Deshalb ist es unausweichlich, dass über diesen Fall berichtet wird, gerade im Blick auf seine juristischen und ethischen Aspekte. Aber gibt es eigentlich überhaupt keine Situation, in der Programmgestalter sich dagegen entscheiden, ein Thema mit spielerischen, unterhaltsamen Elementen aufzupeppen? Gibt es keine Grenze für Entertainment? Die nicht durch Gesetze verordnet wird, sondern durch Menschlichkeit, und Mitgefühl? Offenbar nicht. Schade eigentlich.

Dass die politische Bedeutung, die der Fall in den USA hat, völlig auf der Strecke bleibt, ist unter diesen Umständen gar nicht mehr erstaunlich. Da steht ja auch nicht viel auf dem Spiel. Nur die Gewaltenteilung, die Verfassung und die Unabhängigkeit der Justiz. Sei’s drum.

Wer sich für diese Lappalien interessiert, sollte zu Tageszeitungen greifen. Und die Nachrichtensendungen der privaten Anstalten einfach mal eine Zeit lang boykottieren. Vielleicht könnte ja Quotendruck das bewirken, wofür schlichter Anstand nicht reicht. Eine naive Vorstellung, schon klar.

Fragen an den Anstand? kolumne@taz.de Morgen: Kirsten Fuchs über KLEIDER