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Archiv-Artikel

Hauptsache, keine Schnulzen

Äther 28, das Jugendmagazin der DW für die arabische Welt, kritisiert diese auch mal

BERLIN taz ■ „Diese Sendung ist schlimm! Wie könnt ihr so frech sein, Mubarak zu kritisieren, den Präsidenten des größten arabischen Landes?“ So der wutschnaubende Brief eines ägyptischen Zuhörers der Radiosendung „Athir thamania wa ischrin“ („Äther 28“), die von der Deutschen Welle in alle 22 arabischen Ländern ausgestrahlt wird. Grund für die erregte Hörerpost: Der Moderator hatte angemerkt, dass es bis heute in den meisten arabischen Ländern keine demokratischen Wahlen gebe – Ägypten eingeschlossen.

„Athir 28“ ist ein Jugendmagazin, das einmal in der Woche 30 Minuten lang die Werbetrommel für westliche Werte rührt. Verhandelt werden Themen, die Jugendliche umtreibt: Religion, Politik, Sex. Und das alles, im Gegensatz zum staatlichen Einheitsradio des jeweiligen Landes, ganz ohne Zensur.

Damit hat die Sendung das Rad keineswegs neu erfunden. Auch das französische Radio Monte Carlo und BBC Arabic produzieren in ihren westlichen Studios Jugendmagazine, die sie in der arabischen Welt ausstrahlen, auch sie als Köder für Demokratie.

Das Neuartige, das „Athir 28“ bringt, ist ein offensiver Ton. Dies ist bereits in der Musikwahl spürbar – Ärzte, Juli, Rammstein – „Hauptsache keine Schnulzen“, erklärt Mahmoud Tawfik, Mitbegründer der Sendung. Im Studio sind nicht, wie in den anderen Jugendsendungen, die üblichen Meinungsführer wie Wissenschaftler oder Gelehrte. Die arabischen Jugendlichen bekommen erstmals ihre eigene Bühne – sie sprechen selbst, über Telefon in der Sendung. „Wir reden ganz ungehemmt, wie man eben unter arabischen Jugendlichen redet“, erklärt Tawfik.

„Die Sendung ist wie ein neu geborenes Kind, das genau rechtzeitig zur Welt gekommen ist“, jubelt denn auch eine Hörer-E-Mail aus Algerien. Doch es kommt nicht nur Zustimmung. „Was mir absolut nicht gefällt, ist, dass ihr an die religiösen Fundamente rührt“, beschwert sich ein anderer Hörer. Er meint eine vorangegangene Sendung, in der ein homosexueller Muslim, anonym und am Telefon, von seinem Liebesleben erzählt hat. Schwule und Lesben – Zündstoff auch für weniger orthodoxe Muslime: im Koran ist Homosexualität ausdrücklich verurteilt.

„Über Tabus reden, wie Sexualität, bedeutet oft über etwas ganz anderes zu reden“, erklärt Hassan Znined, der die Sendung mitgestaltet. Viele würden sich oberflächlich zu demokratischen Werten bekennen – aber seien aber nicht bereit, Minderheiten zu tolerieren, beispielsweise Schwule. „Statt abgehoben über Freiheit philosophieren, besser über Konkretes reden – über sexuelle Probleme, über die Emanzipation von Frauen oder wie man zu Israel steht.“

Die Macher scheinen sichtlich Spaß an ihrer Sendung zu haben – doch hinter dem neuen Format steckt noch mehr. „Wir müssen der demografischen Lage gerecht werden“, erklärt Miodrag Soric, Chefredakteur Fremdsprachen bei der Deutschen Welle, eindringlich. Laut einer Studie der Vereinten Nationen sind 50 Prozent der arabischen Bevölkerung jünger als 25. „Da reicht es bei weitem nicht, wenn wir nur schwergewichtige Produkte bieten.“ THILO GUSCHAS