: Bio erreicht auch die letzten Nischen
BIOBOOM Kleine Lebensmittelhändler verkaufen jetzt Bio – und zwar billig. Fachhandel ist alarmiert
Seit fast 20 Jahren ist Haci Pilan Lebensmittelhändler. Derzeit besitzt er einen 70 Quadratmeter großen Laden in der Invalidenstraße in Mitte. Vor zwei Monaten entwickelte er sein traditionelles Geschäft weiter: Sein Laden heißt jetzt „HimmelGrün“ und führt auch Bioprodukte – Brot, Kaffee, Obst, Gemüse. Die Bilanz fällt bisher positiv aus: „Wir sind vor allem günstig, haben neue Kunden, und besonders gut laufen unsere Backwaren.“
Die Biorevolution geht offensichtlich weiter und erfasst nach Discountern jetzt auch Kioske und kleine Lebensmittelläden. Burkhard Paschke, Verkaufsleiter bei Terra-Naturkosthandel, bestätigt die Entwicklung: „Seit drei Monaten habe ich verstärkt Anfragen vom konventionellen Handel, auch türkischen Kleinhändlern“.
Das neue Ladenkonzept des 49-jährigen Pilan hat den angrenzenden „Bio Deli“ hellhörig werden lassen. Der Fachhandel wird vom Reha-Verein betrieben und beschäftigt mehrere behinderte Angestellte. Pressereferentin Jana Höftmann spricht von „Trittbrettfahrern“, die „auf den Zug aufspringen und sich als Bio vermarkten“. Sie warnt vor der Vermischung von biologischen und konventionellen Lebensmitteln, weil der Verbraucher nur „schwer unterscheiden“ kann. Im Fall von „HimmelGrün“ liegt der Anteil an Ökowaren nach eigenen Angaben bei 40 Prozent.
Der Wettbewerb unter Händlern wird härter, stellt Niels Busch-Petersen vom Einzelhandelsverband fest. Seiner Ansicht nach gehört das zum Geschäft dazu: „Das sind Kaufleute, keine Engel.“ Dagegen sei die Konkurrenz gut für die Kunden. Sie haben mehr Auswahl in einem größeren Markt. Wobei der Verbandschef bezweifelt, dass Biokunden allein über einen niedrigen Preis zu gewinnen sind.
Die Entwicklung in der Biobranche fordert auch die Biolieferanten. So habe Terra beschlossen, nur Geschäfte mit 95 prozentigem Bioangebot zu versorgen. Zwar gebe es keine Ladenbesichtigung, aber schon an der Bestellung könne Paschke erkennen, wie das Geschäft ausgerichtet ist – und zur Not die Lieferung einstellen. ANNE SIEGMUND