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Archiv-Artikel

Ostfriesen ergeben sich vorläufig

Für 120.000 Mark hatte eine Bibliothek in Emden das „Ostfriesische Landrecht des Grafen Edzard“ gekauft. Nun muss sie sich die Handschrift nach zähen Verhandlungen mit dem sächsischen Zittau teilen. Der Direktor ist nicht erfreut

Es gab Zeiten, da mussten die Ostfriesen das „ostfriesische Landrecht des Grafen Edzard“ nicht kaufen, da war es in Kraft. „Für einen freien Friesen war etwa die Vorstellung unmöglich, dass er für eine Straftat eingesperrt wird“, sagt Walter Schulz, Direktor der A-Lasco-Bibliothek im ostfriesischen Emden. Bei schwerer Körperverletzung wurde eine „Maßnehmtafel“ angewandt, nach der ausgerechnet wurde, wie viele Finger tief, breit und lang eine Wunde war. Der Richter legte den Finger in die Wunde, danach bemaß er das Bußgeld für den Täter.

Bibliotheksdirektor Walter weiß solche Dinge, denn zu seiner Bibliothek gehört eine berühmte Handschrift: das „Ostfriesische Landrecht des Grafen Edzard“. Über 100 Handschriften des „Landrechts“ sind bekannt, doch das Exemplar in Emden sei die „originale Fassung“, glaubt der Direktor, der das gute Stück 1992 für 120.000 D-Mark kaufte – zusammen mit der Gerhard ten Doornkaat Koolmann-Stiftung, denn das Museum hatte so viel Geld nicht in der Kasse.

1992, das war drei Jahre nach der Wende, nach der im Westen viele wertvolle Handschriften auftauchten, die aus den Bibliotheken der untergegangenen DDR verschwunden waren. Der Christian-Weise-Bibliothek im sächsischen Zittau kam sogar ein ganzes Paket abhanden. Darunter die Erstausgabe von Kopernikus‘ berühmter Streitschrift „De Revolutionibus Orbium Coelestium“ („Von den Umdrehungen der Himmelskörper“). Und das „ostfriesische Landrecht des Grafen Edzard“.

„Eine internationale Antik-Connection räubert Kirchen und Museen in Ostdeutschland aus“, hatte 1991 der Spiegel getitelt. Es war die Zeit, als Figuren wie der ehemalige DDR-Unterhändler Alexander Schalck-Golodkowski im Fernsehen ihre Unschuld beteuerten. „Es war ja gang und gäbe, zur Devisenbeschaffung Kulturgut im weiteren Sinne einzusetzen“, sagt der Emdener Museumsmann Walter Schulz.

Weil alle das wussten, handelte die Politik und setzte für diese Delikte eine Verjährungsfrist von 10 Jahren fest. Kurz vor Ablauf der Frist, so erzählt Walter Schulz, meldete sich Zittau. Die Handschrift des „Ostfriesischen Landrechts“ sei aus den Beständen der Christian-Weise-Bibliothek gestohlen worden und daher zurückzugeben.

„Wenn der Tatbestand des Diebstahls eindeutig wäre, hätten wir kein Recht darauf“, sagt der Emdener Bibliotheksdirektor. Allerdings: „Wir sagen, den Nachweis müsst ihr führen.“

Beim Zivilprozess vor dem Landgericht im niedersächsischen Aurich ließ sich die A-Lasco-Bibliothek dann aber doch auf einen Vergleich ein – nach „zähen Verhandlungen“, wie die Ostfriesischen Nachrichten schrieben. Danach muss sich die Bibliothek in Emden das Eigentumsrecht teilen: zu 50 Prozent gehört die Handschrift Zittau, zu 50 Prozent der Bibliothek in Emden und dem Ko-Finanzier der Transaktion, der Koolmannsstiftung. Standort der Handschrift ist Emden, allerdings muss an Zittau ausgeliehen werden. Erstmals am 1. Juni für ein halbes Jahr.

Das ostfriesische Landrecht in den Händen der Sachsen: das ist hart für die Emdener Bibliothek. „Strafrechtlich wäre das noch mal eine andere Sache“, sagt Direktor Walter Schulz. Doch die 10-Jahres-Frist für einen Strafprozess sei abgelaufen, außerdem habe es da einen „politisch höheren Willen“ gegeben.

Einziger Trost: noch können die Parteien im Zivilprozess Widerspruch einlegen.

Daniel Wiese