Die Maske des Bösen

James Ensors Radierungen in der Kunsthalle

Gevatter Tod – „Pietje-de-dood“ – riefen die Kinder in Oostende dem Künstler nach, so spindeldürr war er. In seinem „Selbstporträt im Jahre 1960“ zeigt er selbst sich so – als liegendes Skelett. Es spricht für einen galligen Humor, dass James Ensor dieses Blatt schon 1888 radierte, mit 28 Jahren und 61 Jahre vor seinem Tod. Radierungen hat der flämische Maler nur kurze Zeit gefertigt, die meisten der 134 bekannten Blätter entstanden in den drei Jahren ab 1885.

41 davon zeigt jetzt die Kunsthalle, passend zur großen Ausstellung über die surrealistischen Fotografen, hatten jene ihn doch als „Vorläufer“ geehrt. In der Tat finden die kleinteiligen, von Menschlein wimmelnden Bilderzählungen kaum ihresgleichen. Masken und Skelette, panische Massen und das Phantastische als das Böse: Nur die Symbolisten Odilon Redon und Félicien Rops sind damit ansatzweise zu vergleichen, sonst finden sich solche Szenen nur bei Bosch und Breughel.

Jahrzehntelang hatte Ensor nur wenige Freunde – an der Brüsseler Akademie wurde er buchstäblich verlacht. Der lange mit Mutter, Schwester und Tante zusammenlebende, den elterlichen Souvenirladen im Seebad Oostende führende Künstler bekam erst 1910 eine größere Einzelausstellung. Doch 1929 wurde das Brüsseler Palais des Beaux-Arts mit einer Ensor-Retrospektive eröffnet. Sein bildnerisches Werk jedoch war seit 1905 weitgehend abgeschlossen.

Die Hamburger Kunsthalle hat schon 1903 eine erste Ensor-Graphik gekauft. Aber keine von den heute geschätzten Varianten der Kathedrale oder des berühmten Einzug Christi in Brüssel, die die bürgerlichen Todsünden anprangern oder die Kirche verspotten, schon gar nicht das revolutionär abstrakte Blatt mit dem Sternenhimmel über dem Friedhof fanden den Weg in die heiligen Hallen – nein, gekauft wurde ein Blatt mit Fischerbooten am Strand. Es gehört zu jenen 40 Landschaftsszenen, die Ensor wie zur Erholung zeichnete. Denn er liebte die Dünen und das Meer seiner unmittelbaren Umgebung und hat Oostende zeitlebens nur selten verlassen.

Hajo Schiff

Di–So 10–18, Do bis 21 Uhr, Kunsthalle; bis 29. 5.